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Ich weiß, ich war's (German Edition)

Ich weiß, ich war's (German Edition)

Titel: Ich weiß, ich war's (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Schlingensief , Aino Laberenz
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imponiert hat: ein großes Foto von ihrem Sohn, daneben sein Wehrmachtsausweis, auf dem ein dunkler Fleck zu sehen war. Sein Blut muss wohl auf diesen Ausweis getropft sein. Ich bin aber über einige Ecken mit Goebbels verwandt, meine Großmutter ist eine geborene Goebbels, sie war die Cousine der Cousine, glaube ich. Vielleicht gibt es da also wirklich Moleküle in mir. Auf jeden Fall gab es die Angst, dass die zur Wirkung kommen könnten. Also musste ich sie doch vorher schon abnutzen, in einer Art Exorzismus austreiben, bevor die sich vielleicht von selbst wieder aufgebläht hätten. Man kann nur dann etwas abarbeiten, wenn man es auch benutzt, glaube ich. Ich bin da kein Experte, aber vielleicht ist das auch eins der Probleme mit dieser ganzen Neonaziszene: Der Faschismus wurde nicht abgenutzt. Den Hitler hat man seit 1945 leider nicht abgenutzt, man hat ihn nicht zum Gebrauch hingeworfen, hat nicht gesagt: Lest die Scheiße, benutzt es, nutzt es ab – dann wird es sich schon zerschleudern und zerfleddern und keiner wird mehr Interesse haben, diese kaputte Jacke anzuziehen. Dann können all die Symbole und Parolen endlich als Weltraumschrott enden, hinauskatapultiert ins x-te Universum, statt immer wieder hier unten rumzuwabern. Aber das ist bis heute nicht passiert, weil immer diese Hochadelskultur einsetzt und sagt: »Nein, um Gottes willen! Käseglocke drüber! Tempelanlage bauen! Wahnsinn! Vorsicht! Achtung! Kein falsches Wort jetzt!«
    Diese Wohlanständigkeit funktioniert doch nicht, die ist doch zum Kotzen. Da ist es viel besser, sich kaputtzulachen über diesen ganzen Scheißhaufen. Das haben wir bei den Dreharbeiten auch getan, als zum Beispiel Dietrich Kuhlbrodt als Joseph Goebbels bei einer Balgerei im Bett immer wieder das Toupet verrutschte. Oder als bei Udo Kier als Hitler Augenbrauen und Schnurrbart partout nicht kleben bleiben wollten. Und ich denke, das kann auch der Zuschauer, wenn er sich auf den Film einlässt.

             
Mit Experimentalfilmer Werner Nekes (re.), Anfang der 80er-Jahre
             
Porträt mit angeklebtem Bart

             
»My wife in five«, 1983 (Filmstill)
             
»Trilogie zur Filmkritik«: Selbst gestaltete Ankündigungen der Aufführung von »What happened to Magdalena Jung?« und »Phantasus muss anders werden« im Gloria Kino Oberhausen, 1983.
             
Zu der Trilogie, die den Untertitel »Film als Neurose« trägt, gehört neben den beiden Kurzfilmen auch »Tunguska – Die Kisten sind da« (1984), Schlingensiefs erster Langfilm.

    Im Kern ist klar: Sterben lernen geht nicht! Wenn ich jetzt wirklich in Zürich einen Theaterabend zum Sterbenlernen machen soll, müsste man das mit so einer Bühneninstallation auch rüberbringen. Ich sehe nicht, dass das eine stringente Handlung hat. Auch keine Drehbühne, die ich sonst so liebe, weil man immer wieder in einen neuen Kasten reingucken kann und glaubt, ah, jetzt haben wir eine Lösung, nein, doch nicht, da kommt ja schon der nächste Kasten, warum geht denn die Handlung nicht weiter?
    Aber solche weichen Wechsel gehen diesmal nicht. In diesem Fall müsste es eine Art Raumstation sein, eine Zwischenzone: Raumschiff Enterprise, wir stoßen vor in eine Galaxie, die noch nie ein Mensch gesehen hat, Beam-me-up-Scotty. Wenn wir eine Raumstation hätten, bräuchten wir dann einen Computer, der mit allen Tatsachen der Welt gefüttert würde. Wie bei Kubrick, Odyssee im Weltraum, dieser Supercomputer HAL: Wenn man rausgeht, wird man nass. Wenn etwas sauer ist, verzieht man das Gesicht. Der Mensch mag alles, was süß ist. Aber was ist, wenn einer einen Regenschirm hat? Oder was ist mit dem, der bittere Schokolade mag? Solche Unschärfen werden nicht berücksichtigt – und dann wird’s halt schwierig. Ich stelle mir auch so eine Vorhangkabine vor, wo man reingeht, von hinten bekommt man Licht und spricht dann als Schatten in ein Mikrofon, das die Stimme verzerrt: Hier spricht Doktor Mabuse.
    Auch gut wäre: eine Krankenstation. Operation Ende. Patient tot. Monster lebt. Aber dann muss es, zack, Überblendtechnik, sofort weitergehen. Von der Raumschiff-Besatzung noch ein kurzer Psalm gesungen, und dann gibt’s vorne schon wieder die nächste Kanzel-Situation, wo der Nächste seine Botschaften zu der Unfähigkeit, sterben zu lernen, erzählt. Was ich auch mag, sind diese Funker, also die Typen, die mit dem Kopfhörer an den Funkgeräten sitzen und die Front anrufen: Front bitte melden,

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