Ich weiß, ich war's (German Edition)
Front bitte melden. Front finde ich gut, weil das auch eine Todeszone ist.
Und das alles eben sehr musikalisch. Ganz wichtig. Schwebend mit dem Chor, Singen und vorne isst einer ein Schnitzel. Kleine Sachen finde ich sowieso ganz toll. Kein Krawall und nicht üppig – höchstens mal ein kleiner Ausflug.
Und dann vielleicht noch diese Antennen-Sache von Beuys. Diese Leid-Währung, mit der der Kranke, der Sterbende an der Gesellschaft mit baut, weil er zwei, drei Antennen mehr auf dem Kopf hat beziehungsweise Antennen, die bei ihm plötzlich wieder funktionieren. Wenn wir auf die Welt kommen, haben wir ja alle diese Antennen, weil wir alle erst mal schreien, alle erst mal wahnsinnige Eindrücke zu verkraften haben und deshalb die Antennen killen, damit dieser Schmerz nicht zu groß wird.
Wenn einer wie dieser Fußballer gestern sich vor den Zug wirft, dann merken plötzlich alle, da ist einer, der hat die Antennen nicht ausschalten können und ist deshalb immer düsterer geworden. Dann ist die Gesellschaft plötzlich bereit zu Sondersendungen, Kerner schaltet auch noch irgendwohin und die Ehefrau kommt in die Pressekonferenz und erzählt, wie schwierig alles war. Das ist alles gut, das ist öffentlich, latent wissen wir, die Depression bedrückt uns alle, also feiern wir große Feste für den Selbstmörder und hoffen, dass der Kelch an uns vorübergeht. Aber der Kern dieser Antennenproblematik, nämlich dass wir die Antennen immer mehr abknicken, damit wir nicht noch mehr empfangen müssen von dieser ganzen Chose, die uns da im Leben erwartet, wird ja dann doch nicht besprochen. Die meisten sägen sie ja immer weiter ab oder schalten sie ganz aus. Daten und Strahlungen fliegen nur so herum, aber die Leute kriegen sie nicht mehr mit, sie haben nur noch auf laut geschaltet oder auf ZDF-Fernsehgarten oder auf Auch-politisch-alles-scheiße. Klar, das sind auch alles Daten und Strahlungen, aber die haben nur die Funktion, das Leid-Wesen, das im Menschen noch drinsteckt, zu übertünchen. Und beim Kranken gehen die Antennen eben wieder an. Da kommt der Leidende, der Patient, der »Schmerzmensch«, und sagt: Ich empfange hier Strahlungen, die kenn ich von früher, ich lass mich nicht mehr einlullen.
Das ist das Leidwesen. Das wird eingeführt in die Gesellschaft – und dann landet es eben im Boulevard.
Die Frage ist: Soll jetzt alles fatalistisch so weitergehen? Gilt sowieso nichts mehr? Ist sowieso alles wurscht? Dazu bin ich nicht bereit. Ich hab das Gefühl, dass da noch irgendwas sein müsste.
In den Dingen des Glaubens würde ich jedenfalls für mich in Anspruch nehmen, dass ich Untersuchungen am eigenen Leibe vorgenommen habe. Die Kirche hat sich nur hinter Gewändern und Scheinbehauptungen und irgendwelchen theologischen Forschungen versteckt, müsste aber letzten Endes ja doch zugeben, dass sie eigentlich nur aus Bildern besteht, die keinerlei klare und scharfe Bedeutung haben. Wenn der Papst dazu stehen würde und sagen würde: Die besten Projekte sind die unscharfen Projekte, der Mensch ist ein unscharfer Organismus, dann hätte man eine sensationelle Religionsmöglichkeit, glaube ich. Wir brauchen wieder Unschärfe in den Religionen, die sie ja eigentlich auch haben. Unter dem Rock unseres Gottes zum Beispiel findet man hundert andere Götter, hat Alexander Kluge mir mal erklärt.
Ich würde auch gerne mal wissen, wie viele Pfarrer mit all den Verbiegungen, die sie da machen müssen, nicht doch ihre Schwierigkeiten haben. Auf die Kanzel steigen und den Leuten erklären, sie werden erlöst und das Himmelreich kommt – das ist doch Hochstapelei, das ist doch absolute Hochstapelei. Und diese Leute sind doch nicht dumm, die müssen das doch spüren. Dass das alles nur abgebrühte Lügner sind, kann ich nicht glauben, dafür tun sie dann doch wieder zu viele gute Sachen.
Diesen Bereich der Verbiegungen zusammenzubringen mit dem Papst und dem Feuerwerk für diesen Fußballtoten und all den Antennen, die wieder poliert werden müssen, um wieder mehr aufzunehmen an Signalen, die uns zur Verfügung stehen – das ist vielleicht das Thema für so einen Theaterabend. Und zuzugeben: Ich empfange ganz fürchterliche Sachen, ich steh aber dazu, das ist ein Teil von mir, deshalb kann ich nicht weglügen.
Ich bin traurig. Sehr traurig. Mein lieber Freund Achim von Paczensky ist am 26.12.2009 an einem Herzinfarkt gestorben. Und wie das so ist bei den wirklichen Stars des Theaters, ist es selbst unserer eingeübten
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