Ich weiß, ich war's (German Edition)
Generation zu vertreten hat, und dass wir uns sehr damit schaden, wenn wir alles immer gleich in diesen Samstagabend-Komödienbereich hineinziehen, wo alles nur noch Witz und Satire ist und alle mitlachen sollen. Das alles bringt nichts für unsere Glückseligkeit. Glückseligkeit heißt frei sein – auch so frei sein, sich selbst infrage zu stellen. Aber das kriegt kaum einer hin, weil es schwer ist, mal ganz allein und für sich selbst eine Entscheidung zu treffen und zuzugeben: Ich bin nicht der geworden, der ich sein wollte. Wie kam es dazu?
Da erschien mir im Operndorf plötzlich wie aus dem Nichts dieser Satz: »Und sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund.« Ich weiß nicht, warum er für mich genau an diesem Ort wieder auftauchte. Jedenfalls dachte ich plötzlich, der Ort spricht das Wort, nein, der Ort ist das Wort. Und ich spreche das Wort und meine Seele ist plötzlich geheilt. Versteht man, was ich da nicht erklären kann? Vielleicht ist es auch gut, dass ich es nicht erklären kann, aber es muss da etwas passiert sein. Kein Wunder, keine Offenbarung oder so was, aber der Künstler Schlingensief mit seinem Beendigungs- und doch immer wieder Eröffnungswahn trifft auf Gelassenheit, auf ganz andere Kräfte. Nichts kann ihn mehr erschüttern, weil dieses Wort vielleicht gesprochen wurde.
Ich habe mir vor Kurzem einen Porzellan-Jesus gekauft, aus einer neuen Reihe der alten Porzellanfirma Nymphenburg. Etwas, was ich eigentlich nie gut fand. Als ich mich fragte, warum ich so einen Schritt gegangen bin, kam mir als Antwort: Ich will mich Jesus, der mir immer so fremd war, mit dem ich immer so komische Probleme hatte, ästhetisch nähern. Ja, ich nähere mich Jesus jetzt jeden Abend auf eine merkwürdige Art und Weise, ich streichele seine Beine, seine Arme, seine unglaublich fein ziselierte Krone, sein Gesicht – nicht zu lange, nicht erotisch, es ist eine ertastende Nähe. Ein ästhetischer Vorgang. Und überhaupt nicht emotional, hysterisch, wundergläubig. Diese Wunderglauberei hat sich aus meinem Leben etwas entfernt. Vielleicht liegt das aber an der Tablette. Vielleicht sollte ich sie, wenn es wirklich zu Ende geht, einfach absetzen, um dann nicht unklar zu sein. Obwohl ich auf keine Fälle Schmerzen haben will und gerne eine oder mehrere Portionen Morphium zu mir nehmen würde. Jesus brauchte das nicht. Aber ich bin auch nicht Jesus.
Nun schreibe ich all diese Sachen – und es scheint wirklich leichtzufallen. Eigentlich wollte ich nicht, aber es läuft sozusagen, wie das Wasser gestern auf dem Operndorfplatz. Das hat Francis mitgeteilt: Drei Wasseradern, und die beste ist inzwischen losgeschossen. Nun besitzt das Operndorf eigenes Wasser! Man könnte also überlegen, das Ganze abzublasen und dort einen Wasserpark zu eröffnen mit Wasserrutschen und Wellenmaschinen. Aber ob ich dann auch noch gut Abschied nehmen könnte? Und außerdem: Wer weiß, was noch passieren wird. Ich hätte nur gerne wieder meine Zartheit zurück. Das Gefühl, einen Draht nach innen und auch einen nach oben zu besitzen. Das wäre eine große Erleichterung. Ob man das üben kann? Oder wird es sich sowieso ergeben?
Mein Verhältnis zu Menschen ist nämlich komplett gestört. Dabei will ich unbedingt Harmonie. Ich habe schreckliche Angst, am Ende ein tobsüchtiger Mensch zu sein. Deshalb kämpfe ich auch um ganz viel Klärung, was Freunde, Bekannte, Verwandte und andere Dinge angeht. Ich möchte noch ganz viel Frieden haben. Aber manchmal ist es auch schwierig, weil ich die Person zwar sehr gerne habe, aber vor ihrem Verhalten Angst bekomme. Dann sieht es vielleicht so aus, als wolle ich jemanden umerziehen oder wie früher mal ein Kämpfchen wagen, aber eigentlich entspricht es genau dem Gegenteil. Der andere ist enttäuscht und denkt, ich wäre verbittert, aber er übersieht dabei, dass ich seinem Naturell nicht mehr gewachsen bin. Man kann ja sein Leben lang Marschmusik gemocht haben, aber mit Blick auf ein Ende möchte man lieber Ruhe und Bach. Dann denkt der Marschmusiker vielleicht, dass man undankbar ist, aber in Wirklichkeit ist man der Marschmusik und ihren Regeln nicht mehr gewachsen. Solche Dinge sind so schwierig. Ich habe keine Zeit mehr, irgendetwas zu machen und im Notfall so zu tun, als wäre alles Absicht oder Zufall oder eben Marschmusik.
Ich weine auch wegen solcher Momente. So oder so ist man Richtung Ende immer eine Art Bittsteller, eine Person, der man dann doch lieber recht gibt, damit die Person
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