Ich weiß nicht, was ich wollen soll: Warum wir uns so schwer entscheiden können und und wo das Glück zu finden ist (German Edition)
war, ist heutzutage zu einer Sache geworden, über die wir entscheiden können oder müssen.
Früher wurden einem nicht zuletzt die wichtigsten Lebensentscheidungen von der Gesellschaft bzw. den Eltern abgenommen. Dass man heiraten würde, war klar, wen , darüber entschieden hauptsächlich die Eltern (die sich wiederum von den herrschenden gesellschaftlichen Konventionen leiten ließen). Der Beruf? War häufig nichts anderes als in die Fußstapfen des Vaters zu treten. Kinder? Selbstverständlich. Erwachsenwerden hieß heiraten, heiraten hieß Kinder kriegen. So glich das Leben im Großen und Ganzen einem Menü, das einem zwangsserviert wurde, und egal, ob einem die einzelnen Gänge schmeckten oder nicht: Man aß, was auf den Tisch kam.
Das hat sich gründlich geändert. Aus dem Menü ist ein buntes Büfett geworden, aus dem wir uns nach Lust und Laune bedienen können. Entscheidungen, die einst wohl oder übel für uns getroffen wurden, sind nun zu unseren Entscheidungen geworden: Was soll ich mit meinem Leben anstellen? Welchen Berufsweg soll ich einschlagen? Wo soll ich leben? Mit wem soll ich leben? Soll ich heiraten, und wenn ja, wen? Soll ich für den Job umziehen? Ich weiß nicht, was ich wollen soll! Soll ich Kinder kriegen oder nicht, und wenn ja, wann? Alles Entscheidungen, die wir, positiv gesehen, selbst treffen können und die uns, negativ gesehen, leider keiner mehr abnimmt.
Und die schiere Zahl der Entscheidungen, mit denen wir im Leben konfrontiert werden, nimmt ständig zu, und damit das Gewicht der Verantwortung, das uns aufgebürdet wird. Beispiel Schwangerschaft: Wollen Sie eine Fruchtwasserpunktion, ja oder nein? Nein? Gut, dann müssen Sie aber auch mit dem Risiko leben. Also doch lieber: ja? Auch gut, aber das Risiko der Untersuchung tragen Sie. Sie wollen die Frage nicht hören? Prima, dann jedoch tragen Sie für Ihre Ignoranz – und für alle Konsequenzen, die sich daraus eventuell ergeben – die volle Verantwortung. Früher hat Gott das ganze Risiko auf sich genommen, jetzt sind Sie dran.
In immer wachsendem Maße werden wir vor große und kleine Entscheidungen gestellt. Das geht so weit, dass viele längst das Gefühl haben, ihr Leben sei weitgehend die Summe ihrer Entscheidungen (auch wenn tatsächlich nach wie vor zahlreiche Einflüsse außerhalb unserer Macht bleiben: Zufälle, Unfälle, Gene, unsere Eltern, unsere Erziehung – alles lebensprägend, alles jenseits unserer Kontrolle). Sind wir mit unseren Lebensentscheidungen erfolgreich, ist das alles kein Problem, im Gegenteil, wir haben allen Grund, glücklich und stolz zu sein.
Aber wehe, es klappt nicht ganz so super. Wehe, wir fliegen auf die Schnauze und scheitern. Dann sind wir auch selbst für dieses Scheitern verantwortlich. Was dann bleibt, was uns den Schlaf raubt, ist das nagende Gefühl der Schuld und der Reue.
Meine Freunde Christian und Julia zum Beispiel werfen sich bis auf den heutigen Tag vor, dass sie nicht früh genug mit der Kinderplanung begonnen, dass sie sich zu lange zu einseitig für ihre Karrieren entschieden haben: ihre Entscheidung, ihre Schuld.
Vom Nicht-entscheiden-Dürfen
zum Entscheiden-Müssen
Schon als kleines Mädchen träumte meine Mutter (Jahrgang 1946) davon, Ärztin zu werden, und als junge Frau wollte sie nichts lieber als Medizin studieren. Problem: Ihr Vater war strikt dagegen. Er, selbst Lehrer und Schuldirektor in den Niederlanden, bestand darauf, dass auch sie Lehrerin wird. Also studierte meine Mutter daraufhin nicht Medizin und wurde Lehrerin. (Der Groll saß tief, und um es ihrem Vater heimzuzahlen, griff meine Mutter eines Tages zur übelsten Strafe, die es damals in Holland gab: Sie heiratete einen Deutschen . Erst Jahrzehnte später, als ihr Vater, mein Opa also, längst verstorben war, folgte meine Mutter schließlich ihrer Neigung und wechselte doch noch ins Gesundheitswesen.)
Die Nöte der heutigen Jugend scheinen mit der Not meiner Mutter – einer Not, der ich immerhin meine Existenz verdanke – nicht nur keinerlei Berührungspunkte zu haben, sondern sich geradezu in ihr Gegenteil verkehrt zu haben. An die Stelle des Zwangs, nicht selbst über sein Schicksal entscheiden zu dürfen , unter dem meine Mutter noch litt, ist inzwischen der umgekehrte Zwang getreten, der Zwang, ständig entscheiden zu müssen . Das, womit man heute zu kämpfen hat, sind nicht zu wenige , sondern zu viele Optionen.
Ich zweifle nicht daran, dass wir es angesichts dieser Offenheit
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