Ich weiß nicht, was ich wollen soll: Warum wir uns so schwer entscheiden können und und wo das Glück zu finden ist (German Edition)
Freunden zählt ein Ehepaar aus Amsterdam, beide sind Forscher, und beide sind auf diesem Gebiet recht erfolgreich. Während er sich jedoch nur und ausschließlich für Experimente, Datenanalyse und Theorien interessiert (alles andere ist, mit Ausnahme von erlesenen Single-Malt-Whiskys, bestenfalls zweitrangig), hat sie sich darüber hinaus schon häufiger überlegt, ob sie nicht doch eine Karriere als Fotografin anstreben sollte. Kürzlich – ihr Mann ging in der Zwischenzeit weiterhin stur täglich ins Labor – besuchte sie für drei Monate eine Freundin in Barcelona, um dort zusammen mit ihr ein Pastageschäft zu eröffnen. Wer einmal ihre Fotos gesehen und ihre Pasta geschmeckt hat, dem ist klar, dass meine Bekannte für beides tatsächlich auch Talent hat. Wer weiß, vielleicht schlummern ähnliche Begabungen in ihrem Mann, doch wenn es so sein sollte, hat er jedenfalls nie großes Interesse daran gezeigt, diese zur Entfaltung zu bringen.
So schön und beeindruckend die Vielseitigkeit meiner Bekannten ist, sie bedeutet für sie nicht nur ein Mehr, ein Plus, ein Gratis-Extra: Es gibt Momente, Tage, Wochen, da zweifelt sie an ihrer Berufswahl, träumt von jenen anderen Karrieren, für die sie ebenfalls eine starke Neigung in sich spürt, eine Neigung, der sie aber nicht ganz nachgeben kann, weil das hieße, ihren Job als Wissenschaftlerin an den Nagel zu hängen. Während das Festlegen auf den Beruf des Forschers für ihren Mann etwas war, was sich gar nicht wie eine Entscheidung anfühlte , bedeutete und bedeutet dieses Festlegen für sie zugleich einen enormen Verzicht. [27]
Auf ähnliche Weise müssen wir alle verzichten, wenn wir es wagen, uns auf einen Lebenspartner festzulegen. Wo die Auswahl groß ist (allein Elitepartner.de zählt nach eigenen Angaben über zwei Millionen Mitglieder [28] ), sind auch die Alternativkosten groß. Nicht, dass jeder Einzelne dieser Liebessuchenden für uns in Frage käme, nein, auf die allermeisten verzichten wir liebend gern, wir sind ja anspruchsvoll. Aber von einer Million kann auch der Bruchteil noch eine ganze Menge sein, und in dem Maße, in dem die Welt zusammenwächst, wächst auch die Zahl der Menschen, mit denen wir in Kontakt kommen und die sich eventuell als Partner eignen. In jedem Fall stehen wir heute vor der Herausforderung, aus einer nie dagewesenen Zahl von Kandidaten jenen einen Menschen zu finden, mit dem wir am glücklichsten werden. Legen wir uns fest, verzichten wir auf eine Menge anderer Möglichkeiten, von denen wir nie wissen werden, wie glücklich sie uns gemacht hätten – schließlich können wir nicht alle Kandidaten einzeln prüfen, um uns dann, 488 Jahre später, für den hoffentlich Besten zu entscheiden. Wie also gehen wir vor?
Es gibt im Grunde nur einen Weg, die Alternativkosten in diesem Fall im Zaum zu halten, und der besteht darin, ein endgültiges Festlegen zu vermeiden oder möglichst lange hinauszuzögern, um sich nicht der Chance eines Umtauschs zu berauben, falls sich doch noch eine bessere Alternative auftut.
Es mag vielleicht nicht sonderlich romantisch klingen, aber ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass viele von uns längst von diesem allgemeinen Unverbindlichkeitsvirus infiziert sind. Das Nicht-festlegen-Können scheint sogar fast so etwas wie die Verhaltenstendenz unserer Zeit zu sein. Ein Blick auf die Ehestatistik unterstreicht das einmal mehr.
Egal, welche Einzelstatistik man sich in dieser Hinsicht auch ansieht, es ist, als würde unser Liebesleben mehr und mehr von einer – wer weiß, vielleicht gar nicht so bewussten – Notwehr gegen allzu viele Möglichkeiten geprägt werden. Es fällt uns ja nicht nur immer schwerer, uns endgültig füreinander, also für eine Ehe, zu entscheiden. Auch die Endgültigkeit der Ehe selbst haben wir relativiert. »Bis dass der Tod euch scheidet« nimmt kaum noch jemand wörtlich, die Redewendung klingt ironisch, zumindest anachronistisch, wie aus einer längst vergangenen Zeit.
Indem wir aber die Ehe von etwas Unwiderruflichem in etwas Widerrufliches verwandelt haben, ist uns im Liebesleben – und wahrscheinlich überhaupt – nur noch eine Sache geblieben, die wir nach wie vor nicht, unter keinen Umständen, rückgängig machen können, und das ist die Entscheidung für ein Kind.
Ein Kind zu bekommen bedeutet bekanntlich, auf viele andere Vergnügen (Ausschlafen, stundenlanges Nichtstun und Rumlümmeln, Sportwagen ohne Kindersitz) verzichten zu
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