Ich werde immer da sein, wo du auch bist
sitzt. Vermutlich hofft Veena, dass es klingelt, bevor ich drankomme. Ich lege den Kopf auf die Tischplatte und mache die Augen zu.
Vierzig Minuten später wache ich auf.
Alle Geräusche sind gedämpft, ich bin desorientiert und es ist mir peinlich, dass ich einfach eingeschlafen bin. Als ich den Kopf hebe und sehe, dass sich nichts verändert hat, dass alle noch an ihren Tischen sitzen und Ms Delani gerade mit Matt spricht, schließe ich die Augen wieder und höre dem Getuschel der anderen zu. Meghan und Katie schreiben sich Briefchen und flüstern.
O Mann, ey!
und
Nein, hat er gar nicht!
Dustin und James reden leise über den neuen Skater-Park.
Katie tut sich ganz wichtig: »Henrys Mutter ist Immobilienmaklerin, sie hat ihnen das Haus gezeigt, das sie dann gekauft haben. Sie hat gesagt, es wäre eine ganz nette Familie, aber sie würde nicht so richtig in unsere Gemeinde passen.«
»Ich hab gehört, sie ist eine
Lesbe
«, sagte Meghan. Nach ihrem Ton zu urteilen, hätte sie genauso gut sagen können:
Ich hab gehört, sie stöbert in Mülleimern nach Resten und isst sie dann
.
»Das hab ich auch gehört«, flüstert Lulu. »Angeblich ist sie von der Schule geflogen, weil sie mit einem Mädchen auf der Toilette rumgeknutscht hat.«
Mir wird klar, dass sie über Dylan reden, und aus irgendeinem Grund macht mich das stocksauer.
»Entschuldigung, aber es gibt hier Leute, die wollen schlafen«, sage ich und starre sie wütend an.
Sie sehen erst mich und dann sich an. Es gibt eine kurze Pause. Meghan streicht sich über ihr ordentlich frisiertes Haar. Katie knöpft einen Perlknopf an ihrer Jacke zu. Sie sehen wie Miniaturausgaben ihrer Mütter aus.
»Caitlin?«, sagt Ms Delani. Sie lässt ihren Blick durch den Raum schweifen, als hätte sie meinen Namen von einer ihr unbekannten Liste abgelesen und wüsste nicht, wer ich bin.
»Ich sitze hier«, sage ich.
»Kommst du bitte nach vorn zu mir?«
Ich schaue auf die Uhr. Es sind nicht mal mehr zwei Minuten.
Ich stehe auf und gehe zu ihrem Pult. Sie hat einen Ordner mit meinen Fotos vom letzten Jahr vor sich liegen und betrachtet sie durch ihre kleine Brille. Sie seufzt und streicht sich eine Strähne ihrer glatten schwarzen Haare hinters Ohr.
»Du musst in diesem Halbjahr unbedingt mehr Farbe in deine Arbeiten bringen. Sieh mal hier«, sagt sie, aber ich sehe nicht hin.
Ich schaue ihr direkt ins Gesicht.
Sie merkt es nicht mal.
»Siehst du, dass hier der Kontrast fehlt? Wenn wir das Bild in Schwarzweiß abziehen würden, könntest du sehen, dass alle diese Farben denselben Grauwert haben. Das wirkt langweilig.«
Ich sehe sie weiter an, und sie schaut auf mein Foto. Letztes Jahr war sie nicht so. Vielleicht schenkte sie Ingrid insgesamt mehr Aufmerksamkeit, aber sie hat auch mit mir geredet.
Sie blättert in dem Stapel.
»Deine Kompositionen sind hin und wieder ganz gut, aber …« Sie schüttelt den Kopf. »Aber auch daran musst du noch mehr arbeiten.«
Ich möchte sagen:
Fick dich, Veena.
Letztes Jahr hast du meine Kompositionen offensichtlich völlig in Ordnung gefunden, denn du hast mir ein A gegeben.
Aber ich schweige. Ich warte darauf, dass sie mich endlich ansieht, damit sie meine Wut erkennt.
Es klingelt.
Sie schaut zur Uhr hinüber, dann zu den Fotos und sagt: »Okay?«
»Okay was?«
»Ich seh dich dann morgen.«
Ich schüttele den Kopf.
»Was sind meine Ziele?«, frage ich. Ich will einfach, dass sie mich ansieht.
»Farbe«, sie glotzt meine Fotos an, »Komposition.«
Ich will sie noch fragen, was sie damit meint, wie genau ich mich verbessern kann, wo ich damit anfangen soll. Aber sie hat sich schon abgewandt, geht in ihr Büro und macht die Tür hinter sich zu.
12
Ich gehe mit einem Stück kalter, fettiger Pizza zu dem Naturwissenschaftstrakt hinüber. Auf dem Weg über den Campus sehe ich Jayson Michaels. Es gibt nur wenige schwarze Jungs an unserer Schule, deshalb fällt er auf. Außerdem ist er sehr beliebt – er ist Leichtathlet und läuft eine Meile in 4 Minuten und 20 Sekunden. Wir sind auf dieselbe Junior Highschool gegangen und waren früher mal in der gleichen Arbeitsgruppe. Aber das Einzige, woran ich mich erinnern kann, ist ein Unterrichtsgespräch über Rassengleichheit, als die Lehrerin Jayson total beiläufig fragte, wie es ihm so damit ginge. Vor der gesamten Klasse! Als ob ein Sechstklässler, der sein ganzes Leben lang in einer fast nur von Weißen bewohnten Stadt gelebt hat, sich für einen Sprecher der
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