Ich werde immer da sein, wo du auch bist
Afroamerikaner halten würde. Außerdem war es eine blöde Frage. Was sollte er da antworten?
Oh, eigentlich geht es mir hier ziemlich gut. Ist doch krass, dass Menschen wie ich früher in Restaurants nicht bedient wurden und keine öffentlichen Klos benutzen durften.
Jetzt kommt er auf mich zu. Ich hab ihn seit Jahren nicht aus der Nähe gesehen. Seine Augen sind heller als in meiner Erinnerung. Seine Haut ist glatt, und er hat eine Narbe an der rechten Wange.
Ich kann mich nicht erinnern, dass Jayson und ich jemals miteinander geredet hätten. Aber ich weiß trotzdem ein paar Dinge über ihn, weil er sie Ingrid erzählt hat. Zum Beispiel, dass seine Schwester aufs College geht und dass er oft mit ihr telefoniert. Er lebt allein bei seinem Vater. Er läuft so viel, weil er dann alles andere vergisst. Wenn er trainiert, hört er Oldies wie die Songs von den Jackson Five.
Jetzt schaut er mich an, als würde er mich kennen.
Ich hab so ein merkwürdiges Gefühl, als ob mein Kopf ganz leicht wird, als ob er sich mit Luft füllt. Ich möchte etwas sagen, Jayson macht den Mund auf. Dann klappt er ihn wieder zu. Dann macht er ihn wieder auf.
»Hi«, sagt er.
Es ist das traurigste
Hi
, das ich jemals gehört habe.
Wir zögern, aber nur einen Augenblick.
Dann gehen wir weiter, jeder in seine Richtung.
13
Schon wieder Wochenende, und obwohl ich weiß, dass ich irgendwas mit dem Holz machen sollte, das die ganze Woche im Garten gewartet hat, möchte ich nur auf dem Bett liegen und Musik hören. Immer wieder höre ich in Gedanken die Songs, aber ich müsste aufstehen, um die Anlage anzustellen, weil ich die Fernbedienung nicht finden kann. Nachdem ich das ungefähr zwanzigmal gemacht habe, beschließe ich, die Fernbedienung zu suchen. Sie steckt nicht unter dem Kleiderhaufen auf meiner Kommode und liegt auch nicht auf meinen CD s oder auf dem Schreibtisch. Ich knie mich auf den Teppich und schaue unter das Bett. Ich streck den Arm aus und taste herum, finde ein paar Socken, einen Lernbericht von meiner Schule, den ich letztes Jahr vor meinen Eltern versteckt habe, und etwas, das ich nicht erkenne – hart, flach. Ich hole es hervor, vielleicht ist es das Jahrbuch von der Grundschule, doch als ich es dann sehe, bleibt mir fast das Herz stehen.
Der abgegriffene Umschlag mit dem aus Tipp-Ex gemalten Vogel.
Ingrids Tagebuch.
Aus irgendeinem Grund habe ich Angst. Ein Teil von mir will es aufschlagen, und zwar mehr als irgendwas sonst auf der Welt. Der andere Teil hat nur Angst. Ich kann das Zittern nicht unterdrücken.
Ingrid hat dieses Buch immer mit sich rumgeschleppt. Ich weiß, das hört sich jetzt albern an, aber manchmal war ich richtig eifersüchtig auf das blöde Ding. Wie kommt es hierher? Ist es zufällig unter das Bett gerutscht?
Hat sie es hier versteckt?
Wann immer ich mir über was klarwerden oder Luft ablassen musste, rief ich Ingrid an. Deshalb konnte ich nicht verstehen, warum sie dieses ach so supergeheime Tagebuch brauchte. Aber nun halte ich es hier in den Händen, als wäre es etwas Lebendiges.
Ich spüre sein Gewicht, sehe auf die Stelle, wo ein Tipp-Ex-Flügel abblättert. Als meine Hände endlich nicht mehr zittern, schlage ich die erste Seite auf. Es ist eine Zeichnung von ihrem Gesicht – gelbe Haare, blaue Augen, ein kleines schiefes Lächeln. Sie sieht mich direkt an. Im Hintergrund fliegen Vögel. Sie hat sie etwas verwischt, um die Bewegung zu zeigen, und oben drüber hat sie geschrieben:
Ich an einem Sonntagmorgen.
Ich blättere die Seite um. Während ich lese, höre ich Ingrids heisere, hastige Stimme, als würde sie mir Geheimnisse verraten.
Liebe Pausenaufsicht,
los! Rufen Sie meine Eltern an, schicken Sie mich zum Nachsitzen, lassen Sie mich in der Mittagspause Müll aufsammeln. Ich habe heute Bio geschwänzt. Es ging einfach nicht anders, ich war dermaßen durch den Wind, mein Herz klopfte völlig grundlos tausendmal pro Minute – weil ich bei der Vorstellung von Jayson als Sitznachbar hätte kotzen können. Obwohl es das Einzige auf der Welt ist, worauf ich mich freuen könnte. Verknallt sein soll doch Spaß machen, oder etwa nicht? Es soll uns doch garantiert nicht foltern. Auf dem Weg zu Caitlin ging ich im Englisch-Flur bei seinem Spind an ihm vorbei, und er lächelte mich an, und mein Magen krampfte sich zusammen. Ich sagte zu Caitlin, wir müssen hier weg, unbedingt, obwohl ich weiß, dass Bio ihr Lieblingsfach ist, weil MrHarris der coolste Lehrer ist, den wir
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