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Ich werde immer da sein, wo du auch bist

Ich werde immer da sein, wo du auch bist

Titel: Ich werde immer da sein, wo du auch bist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Lacour
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noch?«
    »Äh, vielleicht ein Thema?«
    »Was für eins?«
    »Na, ich denke mal, Liebe.«
    »Gut. Welches Thema steckt noch in dem Song? Dylan?«
    Ich sehe kurz zu ihr hin und wüsste gern, ob sie wirklich aus ihrer alten Schule rausgeschmissen wurde, weil sie mit einem Mädchen rumgeknutscht hat. Sie trägt wieder schwarze Jeans, dazu ein hellblaues Shirt mit unleserlichen Buchstaben darauf. An ihren Handgelenken baumeln dicke Lederarmbänder, und sie hat einen Ellbogen auf den Tisch gestützt und hält sich das Arbeitsblatt dicht vors Gesicht.
    »Menschliches Potential. Oder Identität«, knurrt sie.
    »Toll.« MrRobertson nickt. »Wunderbar.« Er schaut an die Zimmerdecke und summt ein paar Takte des Songs. Einen Augenblick lang scheint er vergessen zu haben, wo er ist.
    Dann wendet er sich wieder uns zu.
    »Als Hausaufgabe sucht euch bitte einen Song aus, der für euch wichtig ist. Nennt die Gründe, warum das Lied in eurem Leben so eine wichtige Rolle spielt, und dann interpretiert ihr den Text wie bei einem Gedicht. Ihr habt bis Freitag Zeit.«
     
    Ich hole mir gerade mein Mathebuch aus dem Spind, als Dylan auf einmal neben mir steht und fragt: »Kann man hier irgendwo gut essen?«
    Mittlerweile ist der Naturwissenschaftstrakt kein Geheimtipp mehr, und alle Spinde sind belegt. Vor und nach dem Unterricht hallt der Korridor vom Quietschen und Wummern der sich öffnenden oder zuknallenden Spindtüren wider, von Stimmen, klingelnden Handys und Fußgetrampel.
    Als ich Dylan einen Blick zuwerfe, glotzt sie mich an wie am ersten Schultag. Sie hat klare blaugrüne Augen, umrahmt von verschmierter Wimperntusche. Sie steht sehr nah bei mir, und das fühlt sich seltsam an. Seit Alicias Überfall habe ich niemanden mehr so dicht an mich rangelassen.
    »Wenn du die Webster Street in Richtung Stadtmitte runtergehst, gibt es ein paar gute Cafés.«
    Sie betrachtet Ingrids Hügel, den ich an die Innentür meines Spinds geklebt habe, legt den Kopf schräg und kneift die Augen zusammen. Dann nickt sie anerkennend.
    »Also«, sagt sie, »hungrig?«
    Ohne nachzudenken, ohne überhaupt zu überlegen, ob ich mitgehen will, sage ich: »Ich muss Hausaufgaben machen.«
    »Schon gut. Egal.«
    Ich will nach Hause, um dort Ingrids Tagebuch aus meinem Rucksack zu ziehen und stundenlang zu lesen, bis zur letzten Seite. Aber als ich an dem Hügel und den Wohnblöcken vorbeikomme, entscheide ich mich dagegen.
    Menschen finden es immer selbstverständlich, dass um sie herum andere Menschen sind. Zum Beispiel habe ich mit Ingrid hier überall abgehangen – in der Schule oder auf irgendeinem Platz oder im Park. Ständig haben wir miteinander geredet, uns alle unsere Gedanken mitgeteilt. Vielleicht finden das manche Leute langweilig, aber für uns war es das nie. Aber ich habe damals nicht gewusst, wie unglaublich toll das war. Wie wunderbar es ist, wenn man jemanden hat, der alles hören will, was einem so im Kopf herumspukt. Man denkt einfach, dass das immer so bleiben wird. Nie hält man in einem dieser Augenblicke inne und denkt:
Bald ist das vorbei.
    Aber mittlerweile habe ich begriffen, wie das Leben funktioniert. Ich weiß, wenn ich Ingrids Tagebuch erst einmal ausgelesen habe, wird es nie wieder etwas Neues zwischen uns geben.
    Als ich endlich zu Hause ankomme, schließe ich meine Zimmertür ab, obwohl niemand außer mir da ist. Ich hole Ingrids Tagebuch raus und halte es eine Zeitlang einfach in der Hand. Ich betrachte die Zeichnung auf der ersten Seite. Dann stecke ich es wieder weg. Ich will sparsam mit Ingrid umgehen.

15
    Nach dem Abendessen setze ich mich mit dem Laptop auf den Rücksitz meines Autos. Ich lege die Kassette ein, die Davey mir gemixt hat, aber ich drehe die Lautstärke runter, damit ich mich konzentrieren kann. Ich überlege, wie ich meine Englischhausaufgaben angehen soll.
    Ich tippe:
Musik ist für Menschen eine kraftvolle Ausdrucksmöglichkeit
, und lösche das wieder. Ich versuche es noch einmal:
Songs eignen sich sehr gut dazu, um sich an bestimmte Augenblicke im Leben zu erinnern.
Das trifft schon eher, was ich sagen möchte, aber es ist immer noch nicht ganz richtig. Ich klappe den Computer zu. Ein Mädchen spielt Gitarre und singt dazu, und ich zerre das Schiebedach auf, rutsche auf der Rückbank tiefer, schaue zum Himmel hoch und höre zu.
    Als das Lied zu Ende ist, stelle ich den Rekorder aus und versuche es von neuem.
Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, wenn man einen Song verzweifelt liebt.
    Ich

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