Ich werde rennen wie ein Schwarzer, um zu leben wie ein Weisser
sich vormittags um elf zum Training, auf diesem Platz, dessen Eingang ein Loch im Stabgitterzaun ist. Saint-Denis ist ihre letzte Chance. Saint-Denis soll die Wende bringen, noch maleinen Job im bezahlten Fußball, endlich, nach Monaten oder Jahren ohne Vertrag, ohne Lohn, ohne Applaus. Und ohne Aufenthaltsgenehmigung.
Es ist eine verbotene Mannschaft, die hier spielt hinter weißen Mauern, in jenem Viertel, in dem auch das Stade de France steht, Schauplatz des WM-Endspiels 1998. Ein Drittel der Fußballer ist sans papiers , besitzt kein Visum für Frankreich, oft noch nicht einmal einen gültigen Pass aus dem Heimatland. Deshalb muss der Platz in Saint-Denis geheim bleiben und auch einige Namen, das hat Abel Chijou Chilacha zur Bedingung gemacht.
Chilacha, 33, geboren in Yaoundé, Kamerun, ist der Trainer der Mannschaft. Am liebsten würde er die Spieler, die keine Papiere haben, nach Hause schicken, sagt er. Er will keinen Ärger mit der Polizei, keine Razzien. Aber Chilacha hat noch nie jemanden fortgejagt, weil Papiere fehlten. Da ist er zu sehr Trainer. Er wirft nur Spieler raus, die er für zu schwach hält für das Profigeschäft. Jede Woche siebt er, dann müssen zwei oder drei gehen. Chilacha, Spitzname Mike, »wie Mike Tyson«, sagt: »Wenn ich keine Grenzen ziehen würde, hätte ich 300 Leute auf dem Platz. Bei 50 ist Schluss, mehr kannst du nicht im Auge behalten. Jeder bekommt drei Monate Zeit, sich zu beweisen - und wenn ich dann keine Perspektive sehe: raus.«
Chilacha will nur die Stärksten der Schwachen. Er sagt, er sei ja Fußballtrainer und nicht von der aide sociale , der Sozialhilfe. Und deshalb ist Saint-Denis nur ein weiterer Ort ohne Gnade für die Spieler hier. Sie erleben Saint-Denis, wie sie Europas Klubs schon zuvor erlebt hatten: kalt, fordernd, wenig fürsorglich und ungeduldig. Vor allem ungeduldig. »Als Afrikaner in Europa musst du sofort Leistung bringen. Es sei denn, du bist ein Weltklassetalent, dann bauen sie dich langsam auf. Dann interessieren sie sich auch für dich und deinen Weg. Aber sonst?
Koffer auspacken, Stollenschuhe an und am besten gleich Tore schießen. Du musst dich unverzichtbar machen, jeden Tag. Das ist deine Lebensversicherung.«
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Das sagt Abel Chijou Chilacha, der alle Härten selbst erlebt hat als Verteidiger im Reserveteam von Espanyol Barcelona und bei Sheffield United in der zweiten englischen Liga. Er kennt diesen Druck, der einem die Luft abschnürt und das Herz rasen lässt in jedem Spiel. Chilacha kann das Gefühl gut beschreiben. Aber im Training gibt er trotzdem den Iron Mike, den eisernen Mike, so lässt er sich gern nennen von seinen Spielern.
Und die rennen heute wieder über den Platz, als ginge es um ihr Leben. Die Trainingspartie, 15 gegen 15 auf einem halben Feld, ist eine einzige Hackerei. Eingesprungene Grätschen, obwohl der Ball längst weg ist, nachtreten, wenn der Schiedsrichter nicht schaut, dazu noch jede Menge kleinerer Gemeinheiten, Bodychecks, Halten, Rippenstöße.
Es ist schwer zu erkennen für Chilacha, wer wirklich stark ist. Er muss das erspüren, fühlen, wer hier nur den wild entschlossenen Mann markiert - und wer sich wirklich noch nicht hat brechen lassen in Europa. Wen er noch mal vermitteln könnte an einen Klub.
Ordi spielt jeden Tag trotz einer Knieverletzung
Ordi hat immer nur Kraft für zehn Minuten, dann muss Chilacha ihn vom Feld nehmen, länger geht es im Moment nicht. Das Knie.
Ordi, geboren am 22. April 1986, stammt wie Chilacha aus Yaoundé, Kamerun. Ordi ist sein Spitzname, mehr möchte er nicht preisgeben, denn sein Visum ist seit September 2006 abgelaufen. Er steht am Spielfeldrand und jongliert ein wenig mit dem Ball, der ihm gehorcht wie ein dressiertes Tierchen. Ordi trägt ein blütenweißes Trikot des französischen Erstligisten AS Monaco. Es ist das Geschenk eines Freundes, der dort in der zweiten Mannschaft gespielt hat. Ordi hat aber auch ein eigenes Trikot, eines, das seine Geschichte erzählt, es hat ein gelb-rotes Vereinswappen mit einer Burg darin, aber dieses Langarmshirt von Racing Club de Lens zieht Ordi selten an. Er hütet es wie einen Schatz. Es ist seine Erinnerung an eine bessere Zeit.
Sie dauerte eine Woche.
Im August 2006 absolvierte er ein Probetraining in Lens. Er spielte auf seiner Lieblingsposition, hinter den Spitzen, halb Stürmer, halb Spielmacher. Er war stark. Christophe Delmotte, der Nachwuchstrainer, sagte, dass sie genau so einen Typ wie ihn suchen
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