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Ich will dir glauben

Ich will dir glauben

Titel: Ich will dir glauben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabetta Bucciarelli
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Krankenstation, wo ich noch unter Schockzustand untersucht worden war. Ich sehe auch noch etwas anderes in diesem Gesicht, das viel zu erzählen hätte. In dem sich das Erlebte eingebrannt hat. Es hält die Gefühle zurück, lässt ihnen keinen freien Lauf. Selbst wenn ich es wollte. Ein Gesicht wie ein zerwühltes Bett. Die Laken glattstreichen, die Enden umschlagen, die weichen Kissen neu hinstaffieren. Es gäbe dem Zimmer gleich ein anderes Aussehen. Die Rollläden leicht herunterlassen, die Vorhänge aufziehen und an den Seiten festmachen. Ein neues Leben für das Bett. Träume und Albträume. Nächtliche Unruhe und Umarmungen. So auch für dieses Gesicht. Ich trage Cremes auf, lasse nicht den kleinsten Winkel aus. Gesichtsmasken und Fluids mit belebender Wirkung. Ich recke das Kinn nach oben wie ein Huhn, das zum letzten Schrei ansetzt. Ich erinnere mich, meine Großmutter gesehen zu haben, wie sie die Hühner über ihrem Kopf schwang wie ein Cowboy sein Lasso, bis das Genick gebrochen war. Dann legte sie sie nebeneinander in eine Reihe. Gerupfte Tierkadaver.
    Ich habe Spuren am Körper, darüber besteht kein Zweifel. Aber woher stammen sie? Weiß ich woher, oder will ich es nicht wissen? Die Druckstellen am Kopf und die anderen Verletzungen hatte ich, als ich ins Krankenhaus zum Nähen gebracht wurde. Wie alt waren sie? Ein, zwei Wochen? Verursacht durch einen Stock oder etwas Ähnliches. Schließlich war ich ja bergab geschleift worden, vielleicht irgendwie transportiert. Aber an jenem Morgen tauchten noch andere Verletzungen auf. Waren es tatsächlich andere? Auf den Fotos des Erkennungsdienstes, in der Erinnerung des Ermittlungsrichters. Und wenn ja: Was waren das für Male?
    »Ja, Stresssituationen können die Gefahrenwahrnehmung verändern und auch dazu führen, dass bestimmte Erinnerungen verdrängt werden. Stress, Schock, ein Trauma. Ich bin Polizeibeamtin. Ich bin ein ganz normaler Mensch. Niemand hat mir die Hände um den Hals gelegt, ich habe mich nicht vor einem Angreifer in meinem Rücken gewehrt. Ich habe in Notwehr gehandelt, aber gegenüber wem? Der Welt. Wenn ich mich an nichts erinnern kann, kann ich auch nichts leugnen.«
    »Sie sind am Tod einer Frau beteiligt«, kontert Nagel.
    Er möchte hier herauskommen, mit der einzigen Gewissheit, die ihn interessiert. Er möchte hören, was ich nicht sagen kann. Oder nicht will. Oder was nicht richtig wäre zu sagen.
    »Ja, ich habe eine Frau getötet. Ich bin am Tod eines Menschen beteiligt. Hätte ich sie auch alleine getötet, wenn der Schuss sein Ziel verfehlt hätte?«
    »Das ist immerhin Beihilfe zu vorsätzlicher Tötung«, fährt er unbeirrt fort.
    »Hätte ich sie alleine töten können? Wäre ich dazu fähig gewesen?«
    »Sie wissen aber schon, wen Sie da umgebracht haben, oder? Eine Person, die sich strafbar gemacht hat.«
    »Ich pflichte Ihnen bei, dass diese Person nicht irgendeine Frau war. Aber das spielt keine Rolle. Das wissen bereits alle.« Ich sage das und denke dabei doch etwas ganz anderes. Ich verteidige Opfer, suche nach Gründen, frage mich nach ihrem persönlichen Weg, der sie auf den Seziertisch geführt hat.
    »Sie waren am Tod einer schuldigen Person beteiligt. Allein aufgrund dieser Tatsache sind alle schon mehr als bereit, an Ihre Version der Fakten zu glauben. Die allerdings mit jener des Jägers übereinstimmen sollte. Absolut übereinstimmen, ohne jeden Zweifel. Das verstehen Sie doch, oder?«
    »Wen meinen Sie denn mit ›alle‹? Die Frage ist doch nicht, was wir bereit sind zu glauben, sondern was die Wahrheit ist. Die Frage ist doch nicht, wie wir unsere eigene Haut retten können, sondern im Namen wessen wir unser Dasein führen.«
    Nagel hört mir nicht zu. Er telefoniert. Wie viele Peiniger laufen frei herum, die er verteidigt hat? Menschen wie ich. Opfer des Zufalls, des eigenen Willens, ihrer Selbst. Alle ha ben Anspruch auf Verteidigung. So sieht das Gesetz es vor.
    »Es geht nicht um Moral, sondern um Gerechtigkeit.« Das wiederholt er das eine ums andere Mal.
    Es klingelt an der Haustür. Ich blicke meinen Anwalt an, der die Augenbrauen nach oben zieht und einfach weiterredet. Dann schaue ich auf die Uhr. Schon eins. Ab und an findet etwas von außen seinen Weg in meine Wohnung. Carabinieri. Blumen. Zeitungen. Pizza. Der Junge reicht mir zwei Pappkartons. Ich bin im Begriff zu zahlen, aber der Junge schüttelt den Kopf und meint, das sei bereits erledigt worden. Er wisse nicht von wem, aber es sei eine Frau

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