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Ich will dir glauben

Ich will dir glauben

Titel: Ich will dir glauben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabetta Bucciarelli
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gesucht, in dem verzweifelten Versuch, ihn davon abzuhalten, sich umzubringen. Bei ihr war ein Philosophielehrer, die einzige Person, mit dem der Junge sprechen wollte. Ein Morgen voller panischer Angst.

34
    CHIARA
    Chiara bekommt ihre Regel nicht. Trägt keine Wimpern. Ein Härchen nach dem anderen reißt sie sich heraus, behält es kurz zwischen Zeigefinger und Daumen der rechten Hand und wünscht sich etwas. Immer dasselbe. Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?
    »Du bist das, Chiara, du«, raunt der Arzt ihr wie ein Zauberer leise ins Ohr. Weiß gekleidet, seinen Kittel und die Krankenakte in der Hand, wacht er über sie.
    Bis auf zwei Härchen am linken Augenlid, hat sie sich fast alle Wimpern herausgerissen. Ein nackter Blick aus geröteten Augen. Darüber zwei nachgezogene Striche anstelle der gezupften Augenbrauen. Ein Drachen in schwarzen Schattierungen, gebannt auf die faltige Haut ihres linken Oberschenkel. Auf einem Schulterblatt der Flügel eines Engels. Der zweite Flügel erst halb fertig.
    »Deine Eltern wollen dich nächsten Sonntag besuchen kommen. Wie fändest du das?«
    »Ich möchte sie nicht sehen«, antwortet sie.
    Seit fast sechs Monaten hat sie keinen Besuch mehr, lässt niemanden mehr zu sich.
    »Sie sollen mich sehen, wenn ich schön und schlank bin.«
    Wenn ich schön bin, bedeutet so viel wie niemals. Denn Maß und ein Ende sind längst verloren gegangen. Das Loch lässt sich nicht mehr stopfen, der Schlund ist unersättlich. Sie bezeichnen sich gegenseitig als schön, erhaben, selbstbeherrscht, anders als der Rest der korrupten und beschmutzten Welt.
    Er tröstet sie, belohnt sie, leitet sie. Der Arzt steht an ihrer Seite. Mysteriös und dominant. Chiara spielt mit ihren ständig wechselnden Schminkutensilien, die verstreut in der Schublade des Holztisches herumliegen. Sie trägt enge bunte Kleidung. Hohe Schuhe und Umhängetaschen. Langsam und unsicher bewegt sie sich darin. Hölzern und antriebslos. Während die Essenssplitter durch den Mund in ihren Magen gelangen, betet sie stumm immer dasselbe herunter: Mit mir ist es etwas anderes. Er liebt mich wirklich. Das sagt er mir immerzu. Ich werde gesund und schön. Zum Sterben schön.
    Heute ist eine Modenschau geplant. Die Damen haben sich hübsch gemacht. Geheimnisvolle Mädchen, die dem Essen abgeschworen haben. »Werde Teil meiner Träume«, so heißt das Kleid von Chiara. Sie wird ihre fehlende Energie besiegen, das Dunkle, das geklärt werden muss. Der Laufsteg ist schon vorbereitet, Assistenten und Oberarzt sitzen bereit und erwarten den Auftritt ihrer Patientinnen.

35
    Die zwei Beamten der Carabinieri stehen vor der Gegensprechanlage. Achille Funi sieht sie bereits von Weitem. Er hat vor dem Wohnhaus geparkt, ist ausgestiegen und nähert sich nun langsam dem Eingangstor. Die zwei läuten, Maria Dolores antwortet, er könnte nun mit ihr eine halbe oder auch eine ganze Stunde sprechen. Während er auf das Haus zusteuert, bemerkt er aus dem Augenwinkel einen Mann, der sein Motorrad abstellt, die Scheinwerfer ausschaltet und sich den Helm abzieht. Er steigt von der Maschine und geht ebenfalls zum Haustor. Die beiden Beamten grüßen ihn mit einer vertrauten Geste und lassen ihn herein. Zuvor jedoch sagt der Mann etwas zu ihnen, die zwei nicken, geben ihm die Hand und kehren zu ihrem Wagen zurück. Funi folgt ihnen.
    »Wir dachten, du wärst heute Abend dran gewesen«, sagt einer von ihnen.
    »Das dachte ich auch. Offensichtlich hat er sich in letzter Minute doch noch freimachen können. Besser so, die beiden haben sich lange nicht gesehen.«
    Insgeheim denkt er sich jedoch: Sie hätte mir ja wenigstens Bescheid sagen können. Ein kurzer Anruf hätte genügt. Dann beschließt er, Maria Dolores kurz mitzuteilen, dass er nicht kommen wird.
    »Guten Abend. Ich werde es heute Abend leider nicht mehr schaffen. Aber wir können ja morgen telefonieren. Ich muss Sie wegen der Kreuze sprechen.«
    »Ist gut, Funi. Bis morgen.« Sie ist durch den Fernseher abgelenkt, in dem gerade ein Special über die Band Massive Attack läuft. Rhythmisch. Hypnotisch.
    »… Won’t lie and say this lovin’s best
    leave us in emotional peace …«
    Es klingelt an der Wohnungstür. Maria Dolores öffnet, überzeugt davon, die Beamten der Carabinieri vorzufinden.
    »Ciao«, begrüßt sie der Mann.
    »Michele. Mit dir habe ich nicht gerechnet.«
    »Bist du allein?«
    »Ja, komm rein.« Maria Dolores wirft einen flüchtigen Blick

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