Ich will dir glauben
vergessen. Wie peinlich die ganzen Mails, die er dir geschrieben hat. Selbst wenn man aus ihnen herauslesen kann, wie harmlos er eigentlich ist. Ein notgeiler Schlappschwanz. Garantiert impotent, wenn du mich fragst.«
Maria Dolores zeigt keine Reaktion, wehrt sich nicht gegen seine Beleidigungen. Eifersüchtige Männer mussten sich irgendwie Luft machen. Ihnen zu widersprechen würde die Situation nur noch verschlimmern. Aus irgendeiner unerfindlichen Absurdität heraus suchen sie immer wieder erneut nach der Bestätigung, dass vermeintliche Liebhaber wirklich existieren. Das ist ihre Art, sich selbst Schmerzen zuzufügen. Eine innere Stimme mahnt Maria Dolores, besser den Mund zu halten.
Sie kann Micheles unterdrückte Wut und Aggressivität deutlich spüren und versucht daher, zum eigentlichen Ausgangsthema zurückzukehren: »Und du bist dir wirklich ganz sicher, dass wir uns an jenem Abend nicht gesehen haben? Und auch nicht am Morgen danach?«
»Ich sag’s dir jetzt noch mal: Wir haben uns am späten Nachmittag voneinander verabschiedet. Dann bin ich gegangen. Daran solltest du dich doch erinnern können. Siehst du, nicht einmal die einfachsten Dinge kannst du in deinem Gedächtnis abrufen. Aber du musst ja ständig etwas hinzufügen, was gar nicht da ist und dir damit das Leben verkomplizieren.«
Man nennt das Hintergedanken haben . Was unter Menschen, denen es an Geradlinigkeit fehlt, besonders verbreitet ist. Und oft einhergeht mit Charakterzügen wie Vielschichtigkeit, Stärke, Angst und Unsicherheit. Der Zweifel lässt sie auflodern und über den Trümmern der Zerstörungswut wieder abflauen. Sie machen Beziehungen zunichte, hinterfragen Behauptungen, stellen absurdeste Verbindungen her und schmettern jegliche Antwort von gesundem Menschenverstand ab. Sie zielen auf das noch so kleinste Wort.
»Vielleicht hast du ja recht.«
»Du willst die Realität nicht akzeptieren. Du hast dabei geholfen, ein Monster aus dem Verkehr zu ziehen. Ich würde dir gern mal zeigen, was sie alles bei ihr zu Hause gefunden haben, nachdem ihr beide sie getötet habt. Kinderpornographisches Material unterschiedlichster Art. Die Kleider der missbrauchten Kinder und vor allem die Speicherkarte mit den Fotos des entführten Mädchens. Du erinnerst dich doch an sie, nicht wahr? Du warst doch wegen ihr dort? Mir kannst du nichts vormachen. Ob du es nun getan hast, um dich zu wehren oder aus einem anderen Grund, das ist doch völlig unerheblich für deine Verurteilung. Überhaupt, dieser monatelange Hausarrest ist an sich doch schon total übertrieben.«
Maria Dolores schaut ihn an, versucht, sich selbst davon zu überzeugen, dass er recht hat. Dann sieht sie, dass es bereits spät ist und Michele keine Anstalten macht zu gehen. Sie dreht ihm den Rücken zu und beginnt den Tisch abzuräumen. Als er sich ihr geräuschlos von hinten nähert, zuckt sie zusammen. Er legt seine Arme um sie und schmiegt seine Wange an die ihrige. »Ich bleibe heute Nacht bei dir«, raunt er ihr ins Ohr.
Er fragt Maria Dolores nicht um Erlaubnis, und sie hat nicht die Kraft ihn wegzuschicken.
36
Michele Conti lässt sie hochschrecken. Weckt in ihr eine ständige Anspannung. So als bestünde ihre Beziehung erst seit Kurzem. Die Sinne sind leicht erregbar, in Habachtstellung. Das Geheimnis, damit eine Beziehung nicht in Enthaltsamkeit endet, besteht in der Suche nach Extremen. Dazu musste man in der Sexualität harmonieren. Braucht man ein komplexes psychologisches Profil, Bruchstellen und Schwächen. Und einige Grundvoraussetzungen.
Michele Conti war ein echter Mann. Was so viel heißt wie: stark, beschützend, tatkräftig. Augen und Arme, Blick und Aktion. Er trägt eine Uniform der italienischen Spezialeinheit NOCS und eine Pistole, von der er bei seinen Einsätzen der Risikostufe 1 auch Gebrauch macht. Und er besitzt ein Motorrad. Außerdem fülliges, lockiges Haar und eine Ray Ban.
Maria Dolores hatte sich, als sie ihn das erste Mal sah, bereits in dieses Klischee von einem Mann verliebt. Er stieg gerade in den Helikopter und trug Overall und Helm. Das Profil eines Körpers. Nichts als Körper. Sie hatte sich anfangs gegen diese reine physische Anziehung gewehrt, hatte das Offensichtliche und die Leidenschaft geleugnet. Und war schließlich gezwungen worden, sich zu ergeben und dem Schicksal zu fügen.
Das passiert Männern ebenso wie Frauen. Er hatte lange und nachdrücklich um sie geworben. Er wollte sie haben. Und Maria Dolores hatte sich
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