Ich will dir glauben
K-o-m-m-i-s-s-a-r Funi.« Dann fügt er weniger gut gelaunt hinzu: »Ich nehme an, dass Sie bereits Ihre ehemalige Vorgesetzte Vergani in Kenntnis gesetzt haben, richtig?«
»Noch nicht«, antwortet Funi, und dann ganz gelassen: »Das werde ich schon noch tun. Es eilt ja nicht.«
»Natürlich. Aber vergessen Sie es bloß nicht. Gute Nachrichten soll man nicht aufschieben.«
»Danke für den Tipp, Herr Kommissar.« In keiner Weise von dessen guten Absichten überzeugt.
»Pietro, ab heute nur noch Pietro. Pietro und Achille.«
Seinen Vornamen im Präsidium zu hören war für Funi noch ungewohnt. Familiäre Bande, Fluch und Segen.
Funi hatte niemandem von seinem Antrag auf Beförderung zum Hauptkommissar erzählt und sich selbst nicht wirklich Chancen ausgerechnet. Und nun war es wirklich geschehen. Fürs Erste wäre er allein im Büro von Maria Dolores, später würden sie es sich dann teilen. Eine Ehre, ein Vergnügen. Der natürliche Weg, vom »Sie« zum »Du« zu wechseln. Sich der Uniform und der Frau, die darin steckte, anzunähern. Nun musste er all sein Feingefühl aufbringen, um ihr die Neuigkeit beizubringen. Es ist immer schwierig, sich auf eine Stufe mit seinem Lehrmeister zu stellen, und umgekehrt ist es nicht immer angenehm, sich plötzlich Seite an Seite mit einem Untergebenen, einem Schüler, einem Zögling wiederzufinden, der inzwischen herangewachsen und selbständig geworden war. Es ist keine Seltenheit, dass man ausgerechnet von der Person, die einen zu Beginn unterstützt hat, später nicht anerkannt wird. Der Person, die einst Leitbild, Orientierung und Mentor war. Und oft gerät man ausgerechnet mit dieser aneinander. Er oder ich . Das kam vor. Und Funi wusste das.
33
»Guten Tag, ich bin’s, Angelo.« Eine ruhige, junge Stimme.
Maria Dolores horcht für einen kurzen Moment schweigend in den Hörer, dann antwortet sie mit einem knappen »Guten Tag«. Während der Untersuchungshaft hat sie ihre Resolutheit verloren, ihre Ungeduld, mit der sie den Sprecher am anderen Ende der Leitung oft überrumpelte. Jetzt musste sie mit ihrer Zeit nicht mehr sparsam umgehen. Gestand ihrem Gegenüber zwar nicht ihre physische Präsenz, aber dafür ihre unbegrenzte zeitliche Verfügbarkeit zu.
Die Stimme setzt von Neuem an: »Vielleicht erinnern Sie sich nicht mehr an mich. Wir kennen uns von früher.«
Pause.
»Könnten Sie etwas konkreter werden?« Die Liebenswürdigkeit in seiner Stimme lässt sie weiter nachhaken.
»Ich hatte mich auf der Schultoilette mit einer Pistole eingeschlossen.«
Maria Dolores unterbricht ihn. »Angelo.« Ihr Atem stockt leicht.
»Ja, ich bin’s. Wie geht es Ihnen?«
Sie nimmt einen tiefen Atemzug. Dann greift sie mit der linken Hand nach der Zigarettenschachtel, zieht eine heraus, geht einige Schritte in Richtung Fenster, öffnet es und zündet sie an. Dann antwortet sie: »Gut, danke. Und dir?«
»Ich würde Sie gerne treffen.«
»Ich darf keinen Besuch empfangen.« Sie stößt den Zigarettenrauch aus und tippt mit dem Zeigefinger die Asche ab, die sich noch nicht gebildet hat. Sie ist unentschlossen, ob sie weiterreden soll. »Ich bin nicht mehr die Gleiche, die du vor vielen Jahren kennengelernt hast.«
»Ich auch nicht. Aber ich muss Sie noch einmal sprechen.«
»Der Zeitpunkt ist etwas schwierig, Angelo. Vielleicht weißt du es bereits, ich darf niemanden sehen. Ich bin mir nicht mal sicher, ob es dir etwas bringen würde, mit mir zu sprechen. Ich mache, wie gesagt, gerade eine schwierige Phase durch, ich weiß nicht, ob …«
»Ich muss jetzt Schluss machen, aber ich melde mich wieder. Vielen Dank noch mal.«
»Wie geht es dir denn jetzt?«, fragt sie, bevor er das Gespräch beenden kann.
»Ich melde mich.« Er legt abrupt auf.
Sie bleibt mit der angerauchten Zigarette zurück. Benommen von dem seltsamen Gefühl von etwas Überraschendem, Unerwartetem. Eine Stimme aus einer längst vergangenen Zeit. Angelo war ein Teenager gewesen, als sie sich das erste Mal begegneten. Und sie schrieb gerade an ihrer Abschlussarbeit zum Psychotherapeuten. Sie hatte dafür über Wochen an einer Studie über Jugendliche gearbeitet und an jenem Morgen an einem Gymnasium Daten zusammengetragen. Angelo hatte sich auf der Toilette eingesperrt und damit gedroht, sich mit der Waffe seines Vaters zu erschießen, der bei einem Sicherheitsdienst arbeitete. Maria Dolores hatte sich auf der anderen Seite der Tür wiedergefunden, um ihm zuzuhören. Sie hatte vorsichtig das Gespräch
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