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Ich will dir glauben

Ich will dir glauben

Titel: Ich will dir glauben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabetta Bucciarelli
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jemandem, der abwesend ist, oft stärker bestimmt sein als von den Menschen, die uns tagtäglich umgeben. Maria Dolores hört, dass Funi nicht mehr ganz bei der Sache ist und sich mit jemand anderem unterhält. Verärgert darüber hebt sie ihre Stimme und beginnt zu predigen. »Das macht dem Herrn Papa überhaupt nichts aus, dass da vor seinem Fenster drei Kreuze stehen, so riesig wie die auf dem Berg Golgatha. Gratuliere! Tun wir einfach so, als würden wir nichts sehen. Das betrifft die toten Mädchen genauso wie die Balken genau vor deinen Augen.« Und als Abschluss: »Musst du weg?«
    »Ja, entschuldige. Wir hören uns später.« An mehreren Fronten im Einsatz und alle Hände voll zu tun.

106
    »Wie geht es uns denn heute?«
    Max Nagel ist guter Laune. Er begrüßt meine Mutter, die zurückgrüßt und keinerlei Anstalten macht, das Wohnzimmer zu verlassen.
    Ich habe einige kleine Dinge verändert, was ihm sofort auffällt.
    »Die Blumen sind ja weg. So gefällt es mir besser, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf«, unterstreicht er mit einem Lächeln.
    »Das glaube ich Ihnen sofort«, antworte ich. »Vermutlich haben sie langsam die Lust daran verloren, mir ständig Blumen zu schicken. Das war auch Zeit«, seufze ich. »Vielleicht haben sie aber auch kapiert, dass das Feiern ein Ende hat.« Ich hoffe, dass damit das Thema abgeschlossen ist. Doch falsch gelegen.
    »Das Feiern fängt doch erst an«, entgegnet er, und ich bin mir sicher, dass er dabei vor allem an sich selbst denkt. Meine Mutter steht daneben und nickt gefällig. Ich versuche, sie zu ignorieren und lasse sie zuhören. So hat sie wenigstens meinem Vater und den Tanten etwas zu berichten. Und kann gleichzeitig die Erwartungen der gesamten Nachbarschaft befriedigen, die die Augen auf uns gerichtet hat.
    Eine Frage beschäftigt mich schon seit Tagen. »Warum hat eigentlich niemand aus der Familie der getöteten Frau Nebenklage erhoben?«
    »Ganz genau wird man das wohl nie erfahren. Allerdings ist es eine Familie, die keine Geldprobleme und daher auch kein Interesse an einer Schadensersatzforderung hat. Ich muss hinzufügen, dass sie sich schon längere Zeit von ihrer Tochter entfernt hatten. Im Dorf erzählt man sich, sie hätten schon seit Jahren nicht mehr miteinander gesprochen. Die Familie besuchte sogar eine andere Kirche, um sie bloß nicht sehen zu müssen.«
    »Ah.« Was Besseres fällt mir dazu nicht ein. »Und wie geht es dem Vater des Jungen?« Zum ersten Mal seit sechs Monaten interessiere ich mich wirklich für ihn.
    Nagel blickt mich forschend an, und ich meine, seine Gedanken erraten zu können. Doch er lässt sich nichts anmerken und redet mit mir, wie man zu Verrückten und kleinen Kindern spricht.
    »Er ist optimistisch und davon überzeugt, dass die Gerechtigkeit seinen Lauf nimmt. Er verbringt jeden Tag mit seinem Sohn, und das scheint beiden gutzutun. Und Sie, sind Sie etwas weitergekommen?«
    »Ja. Eines ist mir jetzt klar.«
    »Und das wäre?«
    »Dass mein Gehirn noch immer nicht voll funktionsfähig ist und dass ich mir dabei helfen lassen muss, mein vollständiges Gedächtnis wiederzuerlangen. Aber in der Zwischenzeit möchte ich ganz ehrlich zu Ihnen sein.«
    Ich halte einen Moment inne. Nagel starrt mich an, als warte er auf einen endgültigen Urteilsspruch. Heute fühle ich mich wie ein Possibilist und beschließe, ihn an dieser emotionalen Veränderung teilhaben zu lassen.
    »Ich habe mir gesagt: Ich werde keinen unschuldigen Menschen ins Gefängnis bringen. Ich werde nicht nach Sündenböcken für meine Schuldgefühle suchen. Ich werde versuchen, nach und nach die Wahrheit zu rekonstruieren. Wenn Sie mir dabei helfen, diesen Weg zu gehen. Doch bevor ich mich festlege, was ich im Gericht sage, möchte ich noch eine Sache wissen.«
    Er wirkt beunruhigt. Vielleicht deswegen entwischt ihm diese unbedachte Bemerkung. »Was fehlt denn jetzt noch? Die Anrufliste hat doch nichts ergeben, was brauchen Sie denn noch?«
    Ich runzle die Stirn. Er und Funi haben also miteinander gesprochen. Noch nie zuvor habe ich meine Privatsphäre so sehr vermisst wie in dieser Zeit des Hausarrests. Ich lasse mir nichts anmerken. Ich kommentiere seine Äußerung mit meinem Schweigen. Dann beginne ich von etwas ganz anderem zu sprechen, mit der Absicht, ihn zu provozieren.
    »Wo ist eigentlich mein Laptop? Ich brauche ihn.«
    »Was zum Teufel hat denn Ihr Laptop mit dem Ganzen zu tun. Sehe ich aus wie ein Zauberer? Soll ich etwa Ermittlungen

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