Ich will dir glauben
einleiten wegen Verdachts auf Diebstahl Ihres Computers? Und wieso auch? Maria Dolores, ich bitte Sie, reißen Sie sich zusammen. Sie haben alles, was Sie brauchen, damit man Sie als Zeugin anhört. Wie wäre es mit einem Kompromiss: Sie machen Ihre Aussage, und ich tue mein Möglichstes, um Ihren Computer zu finden. Einverstanden?«
Ich versuche, ihm zu erklären, dass ich ihn bräuchte, um die Glaubwürdigkeit einer Person zu überprüfen. Doch er kommt mir wie immer mit denselben Fragen. Zu was es dient und wem es nützt. Den Ermittlungen nicht.
Wir verhandeln. Mein Anwalt verspricht, wegen des Laptops nachzufragen, auch wenn er eigentlich nicht weiß, bei wem. Während ich versuche, über alles noch mal vernünftig nachzudenken. Ich sehe ihm an, dass er langsam genug hat. Ich nicke. Gebe ihm aber kein mündliches Einverständnis. Dann geht er und hinterlässt einige Unterlagen zum Unterzeichnen, einige Karten von wem auch immer und Grüße von Marta.
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»Emotionales Gleichgewicht, Farbtherapie, Haltung. Hört sich das nicht eher an wie ein Kurs für Topmodels? Sie sollten ihr helfen, gesund zu werden. Wieder zu essen. Verstehen Sie?« Aus Giacomo Brivio bricht es nur so heraus. Endlich kann er frei sprechen. Frei von was eigentlich?, fragt sich Funi insgeheim, der ihm gegenübersitzt. Aber es gibt zunächst wichtigere Fragen.
»Eines würde mich schon interessieren: Wieso haben Sie erst jetzt Anzeige erstattet?«
»Vielleicht, weil das andere Mädchen gestorben ist, die Freundin von Giulia. Die Worte in ihrem Tagebuch haben mich sehr berührt.« Er sucht sich zwischen den zahlreichen möglichen Antworten eine x-beliebige heraus. In gewissen Kreisen lernt man von klein auf, seine Gefühle im Zaum zu halten. Nur das zu sagen, was man sagen konnte und durfte, ohne damit jemanden zu verletzen, zu schaden oder einen Skandal zu verursachen. Giacomo ist augenscheinlich von zurückhaltendem Temperament, und Funi entdeckt in ihm eine Ähnlichkeit mit sich selbst und seiner eigenen Tendenz, sich zurückzunehmen. Und so beschließt er, ihn ein wenig aus der Reserve zu locken, so wie andere es sonst mit ihm tun.
»Ich verstehe. Die beiden Mädchen hatten ja auch wirklich viel gemeinsam, nicht nur die gleiche Krankheit, sondern auch noch den gleichen Arzt.« Etwas zögernd fährt er fort. »Wir haben weitere Seiten aus dem Tagebuch gefunden, die allerdings nicht Ihre Schwester geschrieben hat, sondern Anna. Hören Sie mal, hier: Ich vertraue dem Arzt, aber wenn er sich Giulia nähert, bekomme ich es mit der Angst zu tun. Sie liebt die Vorstellung, begehrt zu werden, geliebt, gewollt zu sein. Heute sind meine Gedanken ganz durcheinander, ich fühle mich ganz leer .« Er hält kurz inne. »Dieses Experiment mit der Liebe macht er normalerweise in der Therapie nur mit mir, weil ich etwas Besonderes bin. Er hat mir gesagt, dass ich in der Lage bin, viel zu geben, dass ich großes Potenzial habe.«
Giacomo ballt seine Hände zu Fäusten. »Ich habe ihn in der Stadt gesehen«, presst er hervor, »mit einem teuren Sportwagen und in Begleitung zweier junger, sehr dünner Mädchen. Er führte sie zum Shoppen aus. Zur Steigerung ihres Selbstwertgefühls, verstehen Sie?«
Funi hört ihm zu und legt währenddessen die Blätter des Tagebuchs zurück in die Mappe.
Der Junge ist nicht mehr zu halten. »Das eigentliche Problem von Giulia war nämlich ihre Angst. Sie war ständig auf der Suche nach Liebesbeweisen, vor allem von unserer Mutter. Giulia war überzeugt davon, dass sie nicht richtig geliebt wurde. Dass unsere Mutter mich ihr vorzog. Sie verglich uns immer, in allen Dingen. Und je schlimmer das bei ihr wurde, desto mehr distanzierte sich unsere Mutter von ihr. Aber nur weil man das Gefühl hat, dass die eigene Mutter einen nicht so liebt, wie man sich das wünscht, kann man doch nicht sterben wollen. Oder doch?«
Auch Funi weiß darauf keine Antwort. Aber sie sind dem Kern schon ganz nah.
»Ging Ihre Schwester denn auch mit dem Arzt zum Shoppen?«
»Ich glaube schon, so wie alle. Aber sie brauchte doch etwas ganz anderes. Irgendetwas, das ihren Hunger stillte; ich meine damit nicht etwas zu essen. Ich weiß auch nicht, was das hätte sein können. Vielleicht ein Medikament. Das sie ruhiger gemacht hätte.«
»Und als sie dann wieder daheim war, was ist dann passiert?«
»Sie kam nach Hause, weil Anna die Klinik verlassen hatte. Erst da hat sie begriffen, dass es keinen Sinn machte, dort zu bleiben. Sie wollte mit
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