Ich will doch nur küssen
ausgesetzt hast? Was ist, wenn sie mich hasst, weil ich der Grund dafür bin, dass die anderen Kinder nichts mit ihr zu tun haben wollen? Oder dich, weil du mich in ihr Leben gebracht hast?«
»Ach was, die Kleine betet dich an«, widersprach Ethan.
»Das beruht auf Gegenseitigkeit.« Faith konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. »Aber dir ist doch wohl klar, dass man Tess in Birchwood niemals akzeptieren wird, wenn sie sich wieder in einen Emo-Punk verwandelt – ganz egal, wie viel Geld du den Leuten dort in den Rachen wirfst. Ich werde mich auf keinen Fall einfach zurücklehnen und zusehen, wie sie wieder zu einem zornigen Trotzkopf wird. Schon gar nicht jetzt, nachdem ich gesehen habe, was für ein toller Mensch sie ist.«
Faith war ein ebenso toller Mensch, und Ethan liebte sie nur umso mehr, weil sie Tess’ Bedürfnisse über ihre eigenen stellte. Aber er weigerte sich, Faith einfach gehen zu lassen.
»Noch ist nicht aller Tage Abend. Noch gibt es Hoffnung für uns.«
Sie seufzte und lehnte sich an die Anrichte, sichtlich erschöpft und am Boden zerstört. Doch die Entschlossenheit in ihrem Blick verriet ihm, dass sie nicht nachgeben würde.
Zum Glück war er genauso dickköpfig wie sie. »Wir werden eine Lösung finden.«
»Das habe ich gerade getan. Tess soll auf diese Schule gehen und dort Zeichenunterricht nehmen. Sie hat es verdient, glücklich zu sein.«
»Das haben wir auch.« Er packte sie an den Schultern und hätte sie am liebsten geschüttelt, bis sie zur Vernunft kam, aber er konnte sich gerade noch bremsen.
»Nein, haben wir nicht.« Ihre Entscheidung stand fest. Sie trat einen Schritt zurück und straffte die Schultern. »Du wirst sehen, dass ich recht habe. Das ist für alle das Beste.« Damit drehte sie sich um und verließ die Küche.
»Ist es nicht!«
»Tess!«, rief Faith. Offenbar war sie seiner Schwester direkt in die Arme gelaufen.
Verdammter Mist! Ethan rieb sich mit den Händen das Gesicht.
Das konnte nichts Gutes bedeuten, ganz egal, ob Tess nun absichtlich gelauscht oder das Ende der Unterhaltung nur zufällig mit angehört hatte.
Ethan eilte hinaus, um mit Tess zu reden und Faith aufzuhalten, doch der Flur war leer. In diesem Augenblick fiel die Tür zu Tess’ Zimmer krachend ins Schloss. Eine Sekunde später vernahm er von der Eingangstür her einen Piepston, der ihm verriet, dass Faith gegangen war.
»Verdammt!« Er hätte am liebsten mit der Faust gegen die Wand geschlagen, aber das würde ihn auch nicht weiterbringen. Konnte der Tag noch schlimmer werden?
Er beschloss, Faith für heute gehen zu lassen. Schließlich hatte sie gleich mehrere schockierende Erlebnisse gehabt und brauchte bestimmt etwas Zeit, um alles, was passiert war, erst einmal zu verdauen – einschließlich der Tatsache, dass sie einander ihre Liebe eingestanden hatten.
Ja, sie liebten einander.
Aber es würde dauern, bis sie das akzeptiert hatte und zu dem Schluss gekommen war, dass sie ohne ihn nicht leben konnte. Somit konnte er sich im Augenblick ganz auf Tess konzentrieren.
Er rannte die Treppe hinauf und blieb vor ihrer verschlossenen Tür stehen. Aus ihrem Zimmer dröhnte laute Musik – dieselben Hardrock-Songs wie immer, wenn sie versuchte, ihre Umwelt einfach auszublenden.
Er klopfte an die Tür.
Keine Antwort.
Er klopfte lauter.
»Lass mich in Ruhe!«
Frustriert fuhr er sich mit den Händen durch die Haare. »Wie du willst«, knurrte er, obwohl sie ihn nicht hören konnte.
Tess sperrte ihn aus, Faith war abgehauen, und er fühlte sich einsamer als damals, als er mit achtzehn von zu Hause fortgelaufen war. Zum ersten Mal in seinem Leben wusste er, was Liebe war, und er hatte nicht vor, Faith ziehen zu lassen – und genauso wenig würde er zulassen, dass sich Tess wieder in ihr verdammtes Schneckenhaus zurückzog. Die beiden bedeuteten ihm alles.
Wahrscheinlich liebte er Faith schon seit ihrem sechzehnten Lebensjahr. Er hatte sie damals idealisiert, genau wie die Villa auf dem Hügel. Aber jetzt wurde ihm klar, dass Faith wichtiger war als eine leere Villa. Dieses Haus würde erst sein Zuhause sein, wenn Faith wieder hier wohnte, bei ihm und Tess.
Als Faith tags darauf das Cuppa Café betrat, schickte sie ein kurzes Stoßgebet zum Himmel, dass Lissa heute ihren einen freien Tag haben möge, denn das Letzte, was sie nach einer schlaflosen Nacht brauchen konnte, waren Lissas Sarkasmus und ihre hämische Freude über Martin Harringtons Interview. Sie spähte in Richtung
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