Ich will doch nur küssen
Resultat, dass keiner von ihnen sie je hundertprozentig befriedigen konnte. Aber sie hatte nie mehr eingefordert oder erwartet. Trotz dieses Mankos hatte sie sich regelrecht überschlagen, um Carter glücklich zu machen. Sie hatte ihre eigenen Bedürfnisse hintangestellt, um die perfekte Ehefrau und Lebensgefährtin eines Rechtsanwalts zu sein. Nach der Scheidung von ihm hatte sie sich geschworen, dass sie sich nie wieder für einen Mann derart aufgeben würde.
Und dann war Ethan gekommen.
Mit seinen Ecken und Kanten hatte er schon immer sehr anziehend auf sie gewirkt. Aber tief drin war ihr klar, dass ihre Gefühle für ihn die Identität bedrohten, die sie sich gerade aufbaute, und damit auch die Unabhängigkeit, nach der sie strebte. Sie hatte sich geschworen, ihm aus dem Weg zu gehen, und doch hatte sie beim ersten Anzeichen, dass er sie brauchte, ihre Bedürfnisse hintangestellt und war zu ihm gegangen.
Er hatte sie genommen, hatte einfach über sie bestimmt und damit eine Fantasie wahr werden lassen, von der sie keiner Menschenseele je erzählt hätte. Aber sie hatte schon einmal die Erfahrung gemacht, wie rasch sie sich einem starken, dominanten Mann – wie auch Ethan einer war – unterwarf. Obwohl er und Carter völlig unterschiedlich waren, erkannte Faith jetzt klar, dass Ethan dieselbe Gefahr für sie darstellte – und sie weigerte sich, noch einmal einem Mann ihre Identität zu opfern.
Selbst wenn sie sich zu diesem Mann stärker hingezogen fühlte als zu allen anderen Männern dieser Welt.
Als Ethan nach einer mehr oder weniger schlaflosen Nacht erwachte, wurde ihm so einiges klar. Gestern Abend hatte er es seinen Brüdern gestattet, ihrer Wut auf ihn Luft zu machen, und so schmerzhaft das auch für ihn gewesen war, hatte er doch keine andere Wahl, als es einfach wegzustecken. Aber er hatte kein Recht, seinen Kummer an Faith auszulassen. Es machte keinen Unterschied, dass sie zu ihm gekommen war, sich ihm praktisch aufgedrängt hatte, obwohl er lieber allein gewesen wäre. Nein, das war eigentlich gelogen. Es war ihm ganz recht gewesen, dass sie da gewesen war, weil er ihr seine Bedingungen aufgezwungen hatte. Er hatte sie missbraucht, um seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen, sich Erleichterung zu verschaffen, und sie hatte es zugelassen. Und jetzt plagte ihn deswegen das schlechte Gewissen. Dass sie beide erwachsen waren und er sie mehrfach gewarnt hatte, würde es auch nicht leichter machen, ihr bei der nächsten Begegnung in die Augen zu sehen. Aber sie war auf eine Art für ihn da gewesen, wie es noch nie jemand vor ihr getan hatte. Weder seine Eltern noch seine Brüder, ja noch nicht einmal seine Kollegen in der Armee hatten seine dunklen Stunden oder seine selbstzerstörerischen Anwandlungen mit ihm durchgestanden, und gestern Nacht hatte er weiß Gott eine sehr dunkle Stunde gehabt.
Er hatte nicht angenommen, dass ihm in diesem Zustand irgendjemand helfen könnte, aber Faith hatte es geschafft, wie er nun, bei Tageslicht betrachtet, zugeben musste. Wahrscheinlich hasste sie ihn jetzt, und er konnte es ihr nicht verdenken. Da er im Augenblick nichts tun konnte, um die Sache mit ihr oder mit seinen Brüdern wieder einzurenken, beschloss er, seine Aufmerksamkeit dem jüngsten Familienmitglied zu widmen.
Er duschte, zog sich an und ging hinunter in die Küche, wo Tess über ihren Skizzenblock gebeugt am Tisch saß und Frühstücksflocken aus der Schachtel aß.
Sobald er hereinkam, presste sie sich den Block an die Brust, um ihr Werk vor ihm zu verstecken, und er zwang sie nicht, es ihm zu zeigen, denn er wusste, dass sie ihm noch nicht das nötige Vertrauen entgegenbrachte. Er war durchaus neugierig, aber sie würde ihm ihre Arbeit schon noch präsentieren, wenn sie so weit war.
»Komm mit«, sagte er zu ihr. »Du kannst im Auto weiteressen.«
Sie hob den Kopf. »Wo fahren wir hin?«
»Das wirst du schon noch sehen.« Beim Anblick ihrer dunklen, schweren Kleidung zögerte er kurz. Das Thermometer zeigte schon wieder über 30 Grad an. »Wie wär’s, wenn du die Jacke zu Hause lässt? Es ist verdammt heiß draußen.«
Sie hob eine ihrer gepiercten Augenbrauen. »Wo fahren wir hin?«, fragte sie erneut.
Geben und nehmen , dachte er. »Okay, du magst keine Überraschungen. Wir kaufen einen Fernsehapparat und eine Xbox.«
»Klasse!«, rief sie erfreut. Dann setzte sie wieder ihre übliche gelangweilt-gleichgültige Miene auf. »Mir wäre eine Wii-Station lieber«, murrte
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