Ich will doch nur küssen
sie.
Interessant. Er hatte keine Ahnung, ob sie es nur aus purer Sturheit gesagt hatte oder nicht, aber er nutzte sogleich die Gunst der Stunde. »Zieh die Jacke aus, dann kriegst du deine Wii-Station.«
Sie starrte ihn an, als wüsste sie nicht recht, ob er es ernst meinte und ob er noch alle Tassen im Schrank hatte. Schließlich zuckte sie die Achseln und ließ sich die viel zu große Jacke von den Schultern gleiten. Darunter trug sie eine dunkle Cargohose und ein schwarzes T-Shirt. Einen Augenblick sah es so aus, als wollte sie die Jacke einfach auf den Boden fallen lassen, doch dann überlegte sie es sich anders und hängte sie über die Stuhllehne.
Ein Fortschritt, dachte er, aber ihm war bewusst, dass er kein großes Aufhebens darum machen durfte, sonst würde er das bisschen Boden, das er gerade gewonnen hatte, gleich wieder verlieren. Deshalb nickte er bloß und ging voran in Richtung Garage. Wie erwartet folgte sie ihm auf den Fuß.
Zwanzig Minuten später waren sie bei dem Target Megastore angekommen, in dem er vor ein paar Wochen mit Faith eingekauft hatte. Er parkte den Geländewagen, den er statt des Jaguars genommen hatte, und begab sich mit Tess an der Seite in den Laden.
»Hol einen Einkaufswagen«, befahl er ihr.
Diesmal tat sie, worum er sie gebeten hatte. »Wie kommt’s, dass du dir so plötzlich einen Fernseher anschaffst?«, erkundigte sich Tess.
Weil er sich die ganze Nacht schlaflos im Bett herumgewälzt und versucht hatte, dem Drang, einfach davonzulaufen und damit alle Probleme hinter sich zu lassen, zu widerstehen.
Als er jünger gewesen war, hatte er sich oft mit Videospielen abgelenkt. Dank der blinkenden Lichter und der diversen Soundeffekte war es ihm gelungen, die Streitereien seiner Eltern und das Weinen seiner Mutter auszublenden. Damals hatte er keinen Gedanken daran verschwendet, wie sich seine Familie diese Geräte überhaupt hatte leisten können. Wenn er nun zurückdachte, fiel ihm auf, dass sein Vater ihnen von jeder seiner Reisen etwas mitgebracht hatte – vielleicht, um seine Schuldgefühle loszuwerden, nachdem er mal wieder bei Tess’ Mutter gewesen war.
Jedenfalls hatte Ethan aus diesem Grund nicht nur ein Nintendo der ersten Generation besessen, sondern auch eine Playstation von Sony bekommen. Er hatte stundenlang gespielt, und sein Geist war den Bildern auf dem Monitor stets um Lichtjahre voraus gewesen. Als er älter wurde, hatte er dann begonnen, sich mit den falschen Leuten abzugeben, um die Aufmerksamkeit seines Vaters auf sich zu lenken, und irgendwann war der Teil seiner Persönlichkeit, der Ärger suchte, einfach stärker geworden als der Computerfreak in ihm.
Als Erwachsener hatte er gelernt, seine Impulse besser zu kontrollieren, was er hauptsächlich seiner Armeeausbildung verdankte. Er wusste, dass er sich eine Beschäftigung suchen musste, in die er sich vertiefen konnte, wenn der Drang zu fliehen so stark war wie jetzt.
Und außerdem war es bestimmt hilfreich, wenn er und Tess ein paar gemeinsame Interessen hatten.
»Hey, ich hab dich was gefragt!« Tess schnippte mit den Fingern vor seinem Gesicht herum. »Was ist los?«
Er lachte zu seiner eigenen Überraschung. »Ach, ich musste nur gerade an etwas denken. Also, eigentlich sind wir deinetwegen hier.«
»Hä?« Sie zog die Nase kraus.
»Als ich dich gestern Abend bei Faith vor dem Fernseher sitzen sah, dachte ich, du hättest bestimmt gern einen im Haus. Außerdem fühlt sich mein Haus noch gar nicht wie ein richtiges Zuhause an, obwohl mein Einzug bereits eine ganze Weile her ist. Faith arbeitet zwar bereits an der Einrichtung, aber es kann noch dauern, bis die Möbel kommen, die sie bestellt hat, und ich möchte es schon jetzt gemütlich haben.« Ganz abgesehen davon sollte das Haus nicht wie ein Gefängnis wirken, wenn er wollte, dass Tess blieb. »Du siehst doch ganz gern fern, oder?«
Sie nickte. »Ich hätte nichts dagegen, hin und wieder ein bisschen fernzusehen.«
Das war wohl die Untertreibung des Jahrhunderts, jedenfalls nach den weit aufgerissenen Augen zu urteilen, mit denen sie die großen Bildschirme rings um sie herum betrachtete. Sie war sichtlich heiß darauf, einen davon mit nach Hause zu nehmen.
»Und wieso willst du eine Xbox? Ich dachte, du wärst erwachsen .« Sie sagte das Wort erwachsen , als würde ihn dieser Umstand zu einem Aussätzigen machen.
Zumindest stellte sie ihm zur Abwechslung ein paar Fragen, statt sich wie sonst in Schweigen zu hüllen oder ihm
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