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Ich will doch nur normal sein!

Ich will doch nur normal sein!

Titel: Ich will doch nur normal sein! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tina J.
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ich nicht im Jetzt. Wie oft hatte ich nur noch einen Gedanken – ich kann nicht mehr, halte es nicht mehr aus, will weg, will tot sein, ich bringe mich um.
    Wenn ich so viele Wochen in der Psychiatrie war, dann habe ich es gar nicht mitbekommen, wie viele Wochen es waren, weil es mir so schlecht ging. Meine Arme sehen schrecklich aus und ich schäme mich, wenn ich nicht daran denke und sie jemand sieht. Immer mehr zweifle ich daran, ob es sich lohnt, weiter zu leben. Ob es sich lohnt, das alles weiter auszuhalten. Meine Arbeit, meine Kinder – verloren.
    Meine Familie, nach der ich mich gesehnt habe, als ich zu meinem Vater geschickt wurde – weg. Immer mehr schreckliche und unerträgliche Erinnerungen kommen zurück. Ich habe solange ohne Kindheit, ohne Jugend gelebt und nun – viel Zeit ist jetzt da, erinnert. Aber es ist immer noch so viel Zeit da, von der ich nichts weiß. Das macht mir Angst.
    Ich habe ein einziges Bild von mir gefunden. Ich glaube irgendwann während meinem Studium habe ich meine Mutti mal nach Bildern von mir gefragt und habe es von ihr geschickt bekommen. Wenn ich dieses Bild ansehe und denke, dass ich das bin, dann ist es schwierig, zu fühlen, dass ich so klein war, als mir das alles passierte. Ich bin jetzt über 50 und erst jetzt, in den letzten Jahren spüre ich die Schmerzen, die Angst und die Hoffnung auf Hilfe. Ich fühle mich oft wie 5, 8 oder 12 Jahre alt, aber es ist schwierig zu erkennen, dass ich so klein war, als dies alles geschah. Ich meine, es ist immer noch schwierig, zu akzeptieren: „Ich war so klein, so wehrlos, ich konnte nichts dagegen tun.“ Immer noch versuche ich, es nicht zu glauben, dass es mein Opa, mein Vati, mein Bruder, meine Familie war, die mir so wehgetan haben. Es ist so, als hätte ich Einen nach dem Anderen weggenommen bekommen – verloren. Ich habe sie nie gehasst – ich habe sie vermisst, als ich mit 13 Jahren von zu Hause weggeholt wurde. Ich habe meine Mutti vermisst, sogar meinen Opa habe ich vermisst.
    Zu begreifen ist das nicht – ich kann es nicht begreifen, wieso ich nicht froh war, von zu Hause weg zu sein. Bis vor kurzer Zeit und sogar jetzt noch teilweise möchte ich sie lieben. Es ist doch meine Familie, meine Mutti. Immer noch ist es so, dass ich mir klar machen muss, die haben mich nicht lieb gehabt, die haben mir wehgetan. Ich müsste sie doch hassen, richtig hassen. Ich hasse sie nicht, ich bin nur unendlich traurig und enttäuscht. Es hat wehgetan, während der Therapie einen nach dem anderen loszulassen. Ich habe es immer noch nicht geschafft, ich bin immer noch dabei, mir klar zu machen, das war keine liebe Mutti, das war kein lieber Opa, das war kein lieber Vati, das war kein Bruder, der verdient, dass ich ihn vermisse.
    Die ganzen Jahre, mein ganzes Leben lang habe ich sie gern gehabt, mich danach gesehnt, wieder bei ihnen zu sein, wieder zurück zu dürfen. Danach gesehnt, wie ein kleines Kind. Bis jetzt war das so. Was hätten sie eigentlich noch tun müssen, damit ich sie nicht liebe, mich nicht nach ihnen sehne?
    Wieso kann ich so fühlen und hoffen, wo ich doch jeden von meiner Familie weit weg wünschen, vergessen, hassen müsste?
    Wenn ich jetzt spüre, was sie mit mir gemacht haben, dann ist es so unerträglich, dass ich das Gefühl habe, verrückt zu werden, den Schmerz nicht aushalten zu können. Immer noch fürchte ich mich vor diesen Gefühlen, vor dieser Wahrheit.

    2.2.05 nachts 1.30 Uhr

    Es ging mir nicht gut in den letzten Tagen und doch hatte ich einen Tag, den letzten Dienstag, der war ganz normal, der war schön. Ich habe mich gut gefühlt, mich einfach wohl gefühlt und nichts war da. Das hat so gut getan und ich habe gehofft, es bleibt jetzt so. Mittwochmorgen war es vorbei – mir ging es wieder sehr schlecht und ich war so enttäuscht deswegen. Aber es war mir auch klar, dass es nicht vorbei sein konnte. Habe ich es doch selbst nicht fassen können, wieso ich den Dienstag erleben durfte, so erleben durfte, obwohl das Schreckliche erst so wenige Tage da war und ich es deswegen auch nicht richtig fand, das es mir so gut geht, obwohl ich das weiß. Ich habe gedacht, was bin ich für ein Mensch, wenn ich das so schnell vergessen kann und so tun kann, als sei die Welt in Ordnung und nichts passiert. Trotzdem war ich froh über den Dienstag, weil es mit den Bildern kaum auszuhalten war und ich einfach nicht mehr konnte und auch nicht mehr wollte. Ich hatte Angst, ja inzwischen habe ich Angst vor mir, wenn

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