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Ich will doch nur normal sein!

Ich will doch nur normal sein!

Titel: Ich will doch nur normal sein! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tina J.
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war so ein Gefühl, als wäre ich endlich frei und ich fühlte mich so frei, so lebendig, so wütend, so gut, so normal. Ich brauchte keine Rolle mehr zu spielen – ich bin echt. Ich brauche mich nicht mehr zu verstecken, zu verstellen.
    Es tat so gut, all das zu erkennen, zu spüren, zu fühlen.
    Ich habe gelacht, ich habe mich gut gefühlt, mich stark gefühlt, nicht mehr lebendig – tot, leer.
    Und, was noch toller war, ich kam auf Station hoch und keiner kam mehr und hat mich bedauert wie ein kleines Mädchen und gestreichelt. Es war super – ich war stark, sie haben mich alle normal behandelt!
    Endlich!

    Am 23.10.2002 war der Tag, an dem ich so sehr glücklich war – ich hatte meine Wut gefunden. Die Tage, die darauf folgten, fühlte ich mich wie ein neuer Mensch – ich war glücklich, ich hatte einen klaren freien Kopf, ich war einfach voller Energie und Pläne. Es ging mir so gut und ich war so glücklich darüber.
    Aber ich konnte trotzdem nicht schlafen, immer noch nicht schlafen. Herr Dr. S. meinte, es läge am zu hohen Adrenalinspiegel und das würde sich nun auch langsam in den Normalzustand verändern und dann auch soweit, dass ich wieder schlafen kann. Mir ging es ja nicht schlecht, ich fühlte mich gut, hatte gute Laune. Aber ich wurde immer kaputter, ich konnte vor lauter freudiger Unruhe nicht sitzen, nicht liegen, nur herum laufen, reden und in Aktion sein. Das war so anstrengend. Doch ich fühlte mich einfach super, obwohl ich körperlich total kaputt war und mich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Aber es tat so gut, so lebendig zu sein. Alle freuten sich mit mir, wie gut es mir ging. Nur schlafen möchte ich gerne noch können und ich hoffe ständig darauf, dass der Schlaf auf normalen Weg, also ohne Einsatz von Medikamenten, kommen wird. Aber jede Nacht umsonst.
    5 Nächte habe ich nun schon nicht geschlafen und am Tag lege ich mich auch nicht hin, damit ich nachts schlafen kann. Inzwischen ist der 28.10.2002 und ich denke, wenn ich nur noch schlafen könnte, dann ist alles gut, dann kann ich endlich heim und werde nicht mehr auf den Gedanken kommen, mich umbringen zu wollen.
    Als ich heute in das Einzelgespräch gegangen bin, war ich müde, aber gut drauf, habe gestrahlt und den Tag schön gefunden. Ich saß noch nicht richtig, da stellte mir Herr Dr. S. eine Frage. Ich tat so, als hätte ich sie nicht richtig gehört. Doch ich hatte sie beim ersten Mal bereits sehr gut verstanden.
    Die Frage war ganz einfach und lautete folgendermaßen: „Haben sie eigentlich auf alle Wut?“
    Die Frage hat mich erschlagen, hat mich stumm gemacht. Ich konnte erst gar nichts sagen – mir liefen nur die Tränen. Ich war so enttäuscht, weil ich nicht auf alle Wut hatte. Ich fand das so schlimm, es tat so weh. Ich war also doch nicht so, wie ich gehofft hatte. Ich bin eine, die macht sogar noch Unterschiede bei denen, die ihr das antaten. Das ist doch nicht zu fassen. Ich kann das einfach nicht fassen. Ich habe nicht mehr geredet, ich habe nur noch geheult und wollte weg, nur weg, in mein Zimmer.
    Das darf doch alles nicht wahr sein, ich hatte mich so gefreut, normal zu sein, wütend zu sein und nun? Ich bin wütend auf die Zuschauer, auf die, die danach noch kamen und auf Opa seinen fiesen stinkenden Freund.
    Und die Anderen? Nichts? Es ist noch genauso, wie vorher. Es macht mich nur traurig und ich bin enttäuscht und es tut weh, aber ich bin nicht böse deswegen. Ich will aber böse sein deswegen, ich will aber wütend sein deswegen. Man muss doch wütend deswegen sein oder? So waren meine Gedanken.
    In meinem Zimmer war ich so wütend auf mich und so enttäuscht von mir, dass ich sofort meine Rasierklingen suchte und mich richtig viel und tief geschnitten habe, um mich zu beruhigen und mich nicht vor lauter Enttäuschung umzubringen.
    Ich habe mir eine Einkauftüte genommen, den rechten Arm darüber gehalten und mich geschnitten und geschnitten, richtig tiefe und lange Schnitte.
    Das Blut lief und alles war voller Blut, der Boden der Tüte füllte sich und es war nicht genug für mich.
    Es klopfte an meinem Zimmer und Herr Dr. S. kam. Er sagte: „Ich bin zu spät, hatte ich es mir doch denken können.“ Zuerst holte er aus dem Schwesternzimmer Verbandsmaterial, dann nahm er die Tüte und brachte sie weg und dann begann er mir den Arm mit Klammerpflaster zu behandeln. Es war mir so peinlich, das wollte ich nicht. Niemand sollte das viele Blut sehen. Niemand sollte meine „Schweinerei“

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