Ich will doch nur normal sein!
nur noch, jetzt ist es soweit, jetzt macht er Schluss mit mir. Ich habe es ja verdient. Ich sollte doch nichts sagen. Ich brachte keinen Ton heraus, wagte kaum zu atmen, geschweige denn, mich zu bewegen. Er saß nur da und sah mich an und lächelte. Aber er lächelte nicht freundlich, es war sein boshaftes Grinsen. Ich hatte Angst, wahnsinnige Angst und wagte doch nicht zu rufen, damit jemand mir helfen kommen soll. Ich konnte auch vor Angst nicht rufen, wusste aber auch, wenn jetzt jemand kommt, dann knallt er ihn eben einfach ab, er hat doch immer die Pistole dabei.
Ich hatte Angst und lag da und wartete auf meine Bestrafung. Was wird er jetzt tun?
Er tat nichts. Saß nur so da und grinste mich an.
Dann sagte er: „Ich habe gesagt, wenn ich dich nicht umbringe, dann tust du es selber!“
Das war alles, was er sagte, sonst nichts. Er saß noch einen Moment still da und sah mich an und dann auf einmal war er weg – einfach weg. Nicht aufgestanden und gegangen. Nein, er war einfach so verschwunden.
Als er weg war, konnte ich auf einmal schreien und ich habe geschrieen und ich habe geheult vor Angst und wegen dem, was er gesagt hat. Ich wollte doch leben und er sagt, ich soll mich umbringen. Ich durfte niemand nur irgendetwas erzählen und ich habe geredet. Ich hatte Angst. Ich hatte immer Angst, er kommt wieder – er ist bis heute nicht wieder gekommen, nicht so, dass er in meinem Zimmer saß und wirklich da war, so als könnte man ihn anfassen.
Damals habe ich wirklich gedacht, ich drehe jetzt durch, ich werde verrückt, halte das alles nicht mehr aus und schaffe es sowieso nicht. Ich habe keine Kraft, das auszuhalten und ich wollte das auch nicht mehr aushalten.
Warum ist denn nicht endlich einmal Schluss mit alle dem? Ich bin doch jetzt weit weg, nicht mehr in Leipzig, nicht mehr zu Hause. Die meisten von denen sind sicher schon tot. Opa ist es, mein Stiefvater ist es und wer sonst noch, weiß ich nicht. Es weiß aber keiner, wo ich bin.
Ich möchte keine Angst mehr haben. Ich möchte nur so leben können, wie alle anderen auch.
Aber diese Angst ist mein ständiger Begleiter. Wenn Erinnerungen auftauchen, dann taucht auch die Angst auf. Es passiert sowieso immer etwas, wovor ich schreckliche Angst hatte.
Entweder haben die mich an den Händen und Füßen festgebunden und ich konnte mich nicht bewegen. Oder sie haben mir die Augen zugebunden und das war noch schlimmer, weil ich nicht sehen konnte, was mit mir passieren wird. Es ist wirklich besser zu sehen, was passiert, auch wenn es schlimm ist. Aber sie fanden es noch lustiger, wenn ich die Augen verbunden hatte und nicht wusste, was auf mich zukommt. Es ist so, man ist stärker gegen etwas, was man sehen kann.
Gut, inzwischen konnte ich auch schon ohne es zu sehen genau fühlen, was kommen wird, was sie mit mir tun wollen.
Wenn sie mir die Pistole in den Mund gesteckt und abgedrückt haben, da haben sie mir nie die Augen verbunden, denn da hätten sie ja nicht gesehen, wie viel Angst ich habe. Nur manchmal, wenn ein Anderer das mal probieren wollte und ich ihn nicht sehen sollte, haben sie mir die Augen zugebunden.
Ich kann nicht genau sagen, wie viele Jahre sie das taten und wie oft. Manchmal habe ich wirklich gehofft, jetzt müsste eine Kugel drin sein, dann wäre endlich Schluss und ich hätte endlich meine Ruhe. Aber es war nie eine Kugel drin. Ich hatte aber trotzdem immer wieder Angst, schlimme Angst, es wäre eine drin. In den Filmen sind doch auch immer Kugeln drin und meist treffen die auch, warum sollen die ewig nur so tun, als wollen sie mich erschießen, irgendwann werden sie es doch tun. Und so hatte ich immer Angst – es sei denn, ich habe gerade mal gehofft, jetzt klappt es, jetzt ist gleich Schluss.
Es war nie Schluss – es war nur immer Angst, Angst, dass es schlimm weh tut, und dass ich sterben werde.
Es war auch nie Schluss, wenn ich den Hals zugedrückt bekam, das tat mein Opa gern. Na ja, schuld war ich meist selber, weil ich zu laut gejammert oder geschrieen habe, wenn er mir wehgetan hat. Ich wusste das zwar, dass er mir dann immer den Hals zudrückt, damit die Nachbarn nichts hören können, ich hätte ja bloß die Zähne zusammenbeißen müssen, anstatt zu schreien, aber das ging eben nicht immer. Und wenn ich dann geschrieen habe, drückte er mir mit dem Kissen die Luft ab und ich bekam panische Angst zu ersticken und bin oft ohnmächtig geworden, weil ich keine Luft mehr bekam. Dann wurde ich durch Ohrfeigen
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