Ich will doch nur normal sein!
ich wusste nicht, was ich verkehrt mache. Es war einfach alles verkehrt und sie hat mich nur verletzt, mit jedem Satz, mit jedem Blick und mit Schlägen. Alles habe ich versucht zu übersehen, zu verzeihen, mir selbst die Schuld zu geben, bis es nicht mehr ging und ich nicht zeigen wollte, wie weh es mir tut und weggelaufen bin mit dem Satz: „Ich hatte nie eine Mutti und ich werde nie eine haben.“
Aber ich hatte doch eine Mutti, eine sehr starke, liebevolle, tröstende Mutti, zu der ich immer gehen konnte, mit der ich immer reden konnte, die mir immer geholfen hat. Aber diese Mutti existierte nur in meinem Kopf, diese Mutti hatte ich mir als kleines Kind geschaffen und sie hat mir immer die Hoffnung gegeben, es wird anders, es hört auf, sie wird mir helfen.
Nun ist durch den Bruch in Leipzig bei meinem Besuch diese innere Mutti für mich verschwunden. Eine Zeit lang habe ich es geschafft, damit umzugehen, dass es so ist, wie es ist. Aber es dauerte nicht lange und dann versuchte ich in Gedanken immer mehr, mir meine Mutti wieder zu erschaffen, mir die Schuld daran zu geben, wie es gelaufen ist in Leipzig. Auf der einen Seite wollte ich alles vergessen und so tun, als sei alles in Ordnung und meine Mutti würde mir verzeihen und wieder gut zu mir sein. In Gedanken rief ich sie an und versuchte für mich wieder den alten Zustand herzustellen. Aber ich konnte nicht anrufen, weil ich wusste, sie würde mir wieder wehtun. Ich verlor immer mehr den Boden unter den Füßen, ich kam nicht mehr klar. Die Mutti in meinem Kopf habe ich verloren, die die ich mir als Kind geschaffen hatte.
Der Schmerz und der Verlust ließen mich immer mehr verzweifeln. Ich kam mir dumm vor. Sagte mir, ich habe nichts verloren, weil sie ja gar nicht so war. Doch es half nichts – ich kam nicht zurecht und wurde wütend auf mich, auf meine Dummheit und hatte immer mehr das Gefühl, alles um mich herum stimmt nicht mehr. Ich bin allein. Ich bin zu dumm, allein klar zu kommen. So schämte ich mich, weil es mir schon wieder schlecht ging und wollte es auch nicht zugeben. Ich schämte mich, weil ich ohne die Hilfe der Klinik nicht wieder auf die Füße kommen würde. Ich dachte, was werden die Schwestern von mir denken. In Gedanken hatte ich immer die Sätze im Kopf: „Die hat nichts kapiert, nichts gelernt.“
„Was will die denn schon wieder hier? Fühlt die sich hier so wohl, dass sie lieber hier ist als zu Hause.“
Ich kam mir so völlig als Versager vor und es war mir äußerst peinlich, schon wieder auf Station zu erscheinen. Zugleich wusste ich aber auch, es geht kein Weg daran vorbei, ich brauche diese Hilfe jetzt. Mit meiner Therapeutin, das funktionierte noch nicht so richtig, die Gespräche warfen mich eher um, als sie mir halfen. Woran das lag, weiß ich nicht. Oft hatte ich das Gefühl, sie erwartet zu viel von mir, traut mir zu viel zu, was ich nicht schaffe und ich habe ihr die ganze Zeit versucht klar zu machen, dass ich noch nicht so weit bin.
Manchmal habe ich dann gar nichts mehr gesagt und sie reden lassen und war froh, wenn die Zeit rum war. Klar bin ich erwachsen, klar bin ich über 50 Jahre alt, klar weiß ich vom Kopf her, meine Mutti hat mir nicht geholfen. Das ist mir alles klar. Aber ich fühle nicht so, ich fühle immer noch wie das kleine Mädchen früher und es ärgerte mich ja selber, dass ich meine Gefühle nicht stimmig mit dem bekomme, was ich eigentlich vom Kopf her kapiert habe. Und dann bekam ich immer von ihr gesagt, dass ich erwachsen bin und doch keine Mutti mehr brauche, die mir hilft, dass die ganze Vergangenheit, alles was mir passierte, vorbei ist und ich jetzt doch mein Leben auf das Jetzt ausrichten sollte und es genießen soll. Klasse, ich weiß das alles selbst und will es doch auch und weiß Gott, ich kämpfe darum, dass ich es endlich genießen kann, was ich habe, was jetzt ist und endlich die ganze schlimme Zeit vergesse und leben kann, normal leben kann.
Ich glaube bzw. habe oft das Gefühl, sie meint, ich denke nur an diese Zeit. Verdammt so ist es nicht, so ist es überhaupt nicht. Es funktioniert einfach nicht so, wie ich es will, wie ich es vom Kopf her klar habe – das war früher, ich bin jetzt erwachsen, ich komme sehr gut ohne Mutti zurecht.
Es ärgert mich doch selbst, dass ich zu blöd bin, um das geregelt zu bekommen, dass es mir gut geht, denn es könnte mir gut gehen und ich will auch, dass es mir gut geht.
Immer mehr hatte ich das Gefühl, zu versagen, zu dumm zu
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