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Ich Will Ihren Mann

Ich Will Ihren Mann

Titel: Ich Will Ihren Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
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in einem miefigen Hörsaal verloren? Sie war dafür geschaffen, dort draußen in der wirklichen Welt mitzumischen, die gewaltigen Umwälzungen zu registrieren und den Lauf der Geschichte einzufangen, die in all ihrer Unvollkommenheit vorwärtsstolperte. Ihre Aufgabe war es dabeizusein. Was mach' ich bloß hier auf dem Fußboden? wunderte sie sich auf einmal und stützte sich auf die Ellbogen. Das bringt nichts, entschied sie und stand auf. Wenn sie ihre Figur wieder in Form bringen wollte, brauchte sie genau jene sture Disziplin, die sie so haßte. Sie nahm ein lila Leinenkleid aus dem Schrank, zog es an, wickelte sich das Handtuch um den Kopf und ging aus dem Schlafzimmer über den Flur zur Wohnungstür.
    Die Morgenzeitung lag auf der Fußmatte. Der Zeitungsjunge war sehr zuverlässig und pünktlich. Der arme Kerl steht wahrscheinlich mit den Hühnern auf, dachte Lilian,während sie die Zeitung auf den Küchentisch legte und die Kaffeemaschine füllte. Die Schlagzeilen waren wie gewöhnlich deprimierend. Die Wirtschaftslage war miserabel; man steckte mitten in einer Rezession, die aller Wahrscheinlichkeit nach in eine Depression münden würde; der Rüstungswettlauf stand in voller Blüte; die IRA und die PLO hatten wieder zugeschlagen. Na, wunderbar, dachte sie. »Willst du 'n Ei?« rief sie in Richtung Badezimmer. »Nein, danke«, brüllte David zurück. »Nur Kaffee und Toast.«
    Lilian langte nach dem Brotkorb und holte ein paar Scheiben Weißbrot heraus. David hatte erfolglos versucht, sie zu Vollkornbrot zu bekehren. Der Geschmack war ihr zuwider, und sie kaufte weiterhin hartnäckig das labbrige Fabrikprodukt, mit dem sie aufgewachsen war. Als der Kaffee durchzulaufen begann und das Brot toastfertig für David bereitlag, nahm sie die Zeitung und schlenderte in das winzige Arbeitszimmer.
    Der große Ledersessel stand einladend in der Ecke. Sie ließ sich hineinfallen und überflog die Schlagzeilen im Lokalteil. Seltsamerweise beruhigte sie die Feststellung, daß weder Feuersbrünste noch Überschwemmungen oder andere Naturkatastrophen imstande waren, Chicagos Vorrangstellung auf dem Sektor Diebstahl, Mord und Vergewaltigung zu erschüttern. Sie schlug die Seite mit den Kleinanzeigen und der Rubrik »Bekanntschaften« auf. Sie lehnte sich bequem zurück und begann zu lesen. Ein Zweispalter fiel ihr ins Auge:
     
    DRINGEND
    Schwarzer, attrakt. Erscheing., 1.95, Bäckermeister, gesch.,
    kinderl. aus guter Fam., plant Rückkehr nach Westindien
    im Dez. u. sucht hübsche, fröhliche, intelligente, mollige,sinnliche Weiße für die Buchhaltung.
    Also das ist deutlich, dachte Lilian und lachte laut auf. Irrtum ausgeschlossen. Der Mann hatte seine Karten offenauf den Tisch gelegt. Ihr Blick überflog die restlichen Inserate.
    Nach dem Tenor dieser Anzeigen zu schließen war die Welt voll von wunderbaren, intelligenten, erfolgreichen Menschen, die Freunde suchten. Freunde? dachte sie. Merkwürdige Wortwahl.
     
    Junggeblieb., sinnl. Geschäftsmann, unabh. und verm.,möchte schöne, langbeinige Kindfrau mit Herz und Freudeam Sex kennenlernen.
     
    Aha, hier wollte also einer Sex statt Freundschaft. Was für Leute geben solche Anzeigen auf? überlegte sie. Welche Menschen, was für Gesichter standen hinter diesen oft ausgefallenen Wünschen? Und fanden sie auf diesem Wege, was sie suchten? Gibt's denn dafür überhaupt einen Weg, fragte sie sich skeptisch und blätterte um zu den Geburts- und Todesanzeigen. Ein paar wirklich starke Zeilen würden ihr die Kraft geben, sich dem Tag zu stellen. Sie fand sie.
    Frey, Joel und Joan (geb. Sampson) bekunden stolz und glücklich, daß Joel in den kalten Nächten des letzten Winters nicht bloß sein Pulver verschossen hat. Die Zwillinge Gordon und Marsha erblickten das Licht der Welt mit dem ansehnlichen Gewicht von 4¾ bzw. 4 ½ Pfund. Mit lautem Geschrei zollten sie den Plagen Beifall, die ihre Eltern (bes. Mammi) auf sich genommen haben. Wir danken Dr. Pearlman und dem gesamten Personal der Universitätsfrauenklinik.
    Lilian faltete die Zeitung zusammen und stand auf, um nach dem Kaffee zu sehen. Sie hatte sich gerade eine Tasse eingegossen, als das Telefon klingelte. Unwillkürlich schaute sie auf die Uhr. Es war kurz vor sieben. Selbst Elaine würde es nicht wagen, so früh anzurufen. Außer in einem Notfall. Mit klopfendem Herzen nahm Lilian den Hörer ab.
    »Hallo?«
    »Kann ich bitte David sprechen?«
    Die Stimme war tief und kehlig und gehörte jedenfalls nicht Elaine.

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