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Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus

Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus

Titel: Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Heim
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seinen Ruf! Nach kurzer Vorrede kommt er zur Sache:

    Wir lassen die bei uns angefertigten Dissertationen in den verschiedensten Stadien vorlegen oder mindestens einmal im Semester in der Doktorandengemeinschaft vortragen. Infolgedessen besteht bei uns gar keine Möglichkeit, dass sich jemand mit fremden Federn schmückt. So liegt es auch im Fall von Frl. Winter, dass diese Arbeit im Ganzen wie im Einzelnen eigenes Gewächs ist, dafür steht nicht nur der Eid der Verfasserin, sondern ebenso meine Kenntnis der Arbeit in 3 Stadien.
    Bleibt mir also nur der Unterschied zwischen Ihrem und unserem Urteil über die Verfasserin zu erklären. Das Wesen der Verfasserin, das Sie richtig als sinnlich impressionabel kennzeichnen, äußert sich bei kurzer Frage und Antwort gelegentlich in einem Kurzschluss des Denkens. Auf der anderen Seite ist sie von früh an, sowohl bei Herrn Ritschl wie bei mir, durch sehr gute Seminarreferate aufgefallen. Für den Psychologen nicht erstaunlich. Gerade »sinnlich impressionable« Menschen sind am Schreibtisch – und nur dort – einer ungewöhnlichen Konzentration fähig. Ja, hier kommt es dann vielfach zu einer übermäßigen Verdichtung, die im Fall Winter bei dem zweiten, im Seminar vorgetragenen Stadium der Arbeit zu beanstanden war. Wobei ich auch hier sagen muss, dass mich auch dieses dritte Stadium noch nicht restlos befriedigt – aber in diesem Punkt finden die Studenten oft, dass ich mehr von ihnen erwarte, als bei der heutigen Sprachverwilderung geleistet werden kann.

    Mit freundlichen Grüßen,
Ihr ergebener Edgar Salin
    In der Folge lenkt Walter Muschg zunächst ein, doch die Sache ist längst nicht ausgetragen. Es ist nur das Vorspiel zum Hahnenkampf.
    Warum erhält Ilse in all den Jahren keine echte Hilfe von ihren Männern?, frage ich mich immer wieder. Alle drei, Fred Heim, Edgar Salin und auch Hiroshi Kitamura, sind welterfahren, jeder auf seine Art. Fred, hemdsärmelig und unmittelbar, holt seine Verwandtschaft »über Nacht« heraus, Hiroshi wägt ab und gelangt gewinnend opportunistisch zu seinen Zielen. Und Edgar Salin? Der ist sehr bei der Sache, wenn es darum geht, den Ruf und die eigenen Interessen zu schützen, und zeigt Mut, wenn es darum geht, seinen Nächsten das Leben zu bewahren. Und dennoch schreibt er Ilse »butterweiche Briefe«, um in Maries Jargon zu bleiben: »Wenn alles in so elementarer Bewegung ist wie derzeit das Schicksal der Welt, kann jeder seine Straße ziehen, und alle wärmsten Gedanken können und müssen ihn geleiten, aber es ist Schelmenstück, wenn Menschen wie ich ›raten‹ wollen, zuraten oder abraten – gleichviel …«
    Warum haben diese drei Männer, jeder zu seiner Zeit, Ilse nicht vor der Last der Untätigkeit im Angesicht der Untaten bewahren können – liegt es an ihr? Kann sie Marie die Hand nicht mehr reichen aus Furcht, das eigene Leben damit herzugeben? Und Marie, schreibt die sich zur Mater dolorosa – zur Schmerzensmutter – hoch, um mit diesem Bild in die Seele des einzigen Kindes einzuziehen und, nie errettet, dort unsterblich zu werden?

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    »Bete für mich, dass ich Dir erhalten bleibe!«
    MARIE IM MÄRZ 1942

    Berlin, den 19.

März 1942
    Mein Einziges, Geliebtes,

    ich kann Dir nicht sagen, wie glücklich ich bin, als ich heute eben endlich ein Lebenszeichen durch Deine liebe Karte vom 11. des Monats erhielt. Du hast mich mit Deinem so langen Schweigen zur Verzweiflung gebracht, zumal ich das doch nicht von Dir gewöhnt bin. Die entsetzlichsten Gedanken, dass Dir etwas passiert sein könnte, grenzten bei mir in meiner ohnehin bis zum äußersten gesteigerten Nervosität beinahe an Wahnsinn. All mein anderes Schicksal war mir völlig nebensächlich und ist mir jetzt auch wirklich ganz egal, falls ich es tragen muss wie alle anderen. Es scheint ja doch alle Mühe bei Dir erfolglos, denn ich merke nichts vom Gegenteil. Ich bin nur froh und glücklich, dass Du mir heute geschrieben hast, denn die Telegramme von Dir waren mir kein Beweis, dass Du gesund bist. Mit Schwierigkeit gab ich durch die Hapag vor ein paar Tagen ein Telegramm auf an Dich (bis jetzt noch ohne Antwort), was nur den Zweck hatte, Post von Dir haben zu wollen.
    Telegramme dürfen sich nur auf Auswanderung beziehen, nicht privater Natur sein. Mache Dir wegen Deines zurückgestellten Examens nur gar keine Sorgen, ist ja nicht soo wichtig, nur erst mal diese Zeit überstehen und gesund dabei bleiben, dann wird sich alles finden.
    Dass Du jetzt mal

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