Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus
Woche hoffe ich, Sie wieder aufsuchen zu können.
Ganz klar, der Mann möchte nicht in Vergessenheit geraten – das Fräulein Winter geht ihm nicht aus dem Sinn. Ob sein Werben Ilse noch zu Hause erreicht hat oder erst nach ihrer Rückkehr aus den Osterferien am Lago Maggiore? Dort verbringt sie die Tage mit Velotouren und die Abende in Ascona, im Café Verbano an der damals noch verschlafenen Seepromenade. Sie hockt bis zum Morgengrauen mit den Heimatlosen, mit den Marionettenspielern und den Vergessenen, mit den Vertriebenen und Verlorenen, mit den Emigranten und den Träumern; Geschichten über Geschichten, bis es Tag wird am Ufer.
Ilse liebt ihren piccolo mondo im Süden. Das Licht, die Menschen, das leichtere Leben, die Großzügigkeit der Gesten. Zwischen April und Oktober zieht es sie immer wieder in diese Landschaft, sie spürt Sehnsucht danach, Ilse ist kein Mensch des Nordens. Während der Ostertage 1938 begegnet ihr auf der Post in Ascona eine schlanke, fast elfenhafte Frau. Das dunkle Haar ist streng in den Nacken gekämmt, ihre Bewegungen lassen sie inmitten der Menschen fließen, sie fällt auf, ist keine von »hier«, keine aus der » Verbano -Clique«. Dazu ist sie zu »zerbrechlich«. Ilse hat einen schnellen Verstand; die mandelförmigen Augen, das ovale Gesicht, das flatternde Kleid: Es ist Charlotte Salin. Es ist der Beginn einer weiteren innigen Freundschaft, über die der nun von zwei Frauen »Gehörnte« nicht aufhört zu klagen. Noch Jahre später schreibt er an Charlotte: Das sei mit das Ärgste, was sie ihm je angetan habe.
Ilse und Charlotte kümmern sich nicht um Edgars Eitelkeiten. Sie können wunderbar miteinander – stammen zwar aus zwei Welten, doch beide aus Berlin, das verbindet. Die zehn Jahre ältere Charlotte findet an der Jüngeren viel Gefallen und ist sehr amüsiert darüber, dass sie bei Edgar als Hörerin eingetragen ist. Charlotte, die sich in der schönen Landschaft recht langweilt, freut sich über die mit Ilse gekommene Abwechslung, die so ganz anders ist als ihre Schweizer Freundinnen, die sie abund zu in Ascona oder Locarno trifft. Ilse ist unternehmungslustig und frech. Charlotte findet es toll, mit ihr abends durch die grotti , die Weinlokale der Einheimischen, zu ziehen oder bis spät mit den Nachtschwärmern im Café Verbano zu fabulieren.
Zwei Briefe im Schuhkarton aus dem Spätsommer 1938 erzählen von dieser Freundschaft. Durch Charlotte erfahre ich endlich, wie Ilse damals im Leben steht, kann erleben, wer sie mit sechsundzwanzig – so alt wie meine Tochter Saskia heute – gewesen ist, mitten drin und immer auch am drohenden Rand. Ich spüre, wie sehr Ilse Frauen hingerissen hat, wie hinreißend sie Frau gewesen ist.
Ascona, den 29.
August 1938
Liebste Ilse,
ich komm mir vor wie ein kind an weihnachten – ich habe mich schrecklich gefreut über das päckli . Aber das ist ja einfach zu viel, wie Sie mich verwöhnen. Ich trag Ihre sachen so gern, ja ich ziehe sie gewissermaßen noch warm, wie sie aus der schachtel kommen, an – so ging das heute mit der weißen jacke. Das war schon lange mein traum! Sie steht mir zum anknabbern – die übrigen sachen ebenfalls. Also, wie gesagt, ich hab eine so große freud daran und dank Ihnen vielmals, Liebe.
Sie haben so recht, mit dem sich besser fühlen in schönen sachen, das weiß ich schon lang. Es ist einfach so. Ich habe komischerweise noch nie ein schneiderkostüm gehabt, ich weiß eigentlich nicht, warum, jedenfalls es war so, vielleicht war ich auch zu dünn. Vielleicht ist mir wegen dieses mangels so viel »passiert«.
In der Nelly-Höhle oder so einem »toll« lasterhaften lokal bin ich seit Ihnen! nicht mehr gewesen, ich freue mich aber, wenn Sie wiederkommen, wieder ein bissel abends auszugehen, d.
h. bis nach Mitternacht.
Ich bin so schrecklich solid, aber wenn niemand da ist, um unsolid zu sein! Es ist Ihnen ja wie gesagt bewusst, dass Sie erst diese note in mein lustigerweise als so nächtlich verschrienes leben gebracht haben – auch einer der späße in diesem lustspiel.
Überhaupt, ich möchte so gerne mit Ihnen einmal wieder über einiges lachen. Dass Sie jetzt sara sind, das war mir noch gar nicht aufgegangen, hingegen habe ich neulich bei der notiz geschmunzelt im gedanken, dass Bernhard Edgar Jaques [Salin] jetzt auch noch Israel heißen wird.
Schreiben Sie mir doch recht oft, was Sie auch wollen, ich freu mich so. Ich wäre so gern in Ihrem schönen Zimmer, ich glaub, dass
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