Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus

Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus

Titel: Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Heim
Vom Netzwerk:
den Schatten seines Namens trage. Diesem »Nachruf«, für den Freundeskreis gemacht, setzt er, wie immer auf Effekt bedacht, die erste Strophe des Parzenliedes aus Goethes Iphigenie auf Tauris voran:

    Es fürchte die Götter
    Das Menschengeschlecht!
    Sie halten die Herrschaft
    In ewigen Händen
    Und können sie brauchen,
    Wie’s ihnen gefällt.
    Doch die »Abgestorbene« lebt, wenn auch sehr bescheiden; im Sommer in den colline oberhalb von Ascona, wo sie sich mit Schreibarbeiten kleines Geld verdient, im Winter in Mürren, wo sie im Chalet Gletscherblick eine kleine »Stube« bewohnt und in Büros und Läden aushilft. Daneben liest sie viel, treibt Sport und ist hell begeistert von Leni Riefenstahls Olympiafilm.
    Diese Charlotte Salin, 1903 in Berlin als Antonie-Charlotte Karoline Emmy Ida Marie Resy Johanna Trützschler von Falkenstein zur Welt gekommen, wird Ilse im Frühjahr 1938 in Ascona kennenlernen. Zunächst aber bemüht sich der plötzlich vereinsamte Professor um seine adrette Hörerin. Ilse weiß seine Blicke zu deuten und verpasst keine seiner Vorlesungen.
    Im Wintersemester 1937/1938 schreibt sie sich erstmals für Salins Seminare ein, womit sie Zugang zum kleineren Kreis findet, denn guter Brauch will es, dass die Professoren zu sich nach Hause einladen – und so hat Edgar Salin es sich bestimmt nicht entgehen lassen, auch das Fräulein Winter aufzufordern, den geselligen Abenden in seinem Studierzimmer in der Hardstrasse 110 Folge zu leisten, das Marion Gräfin Dönhoff so beschreibt:

    »Bücher bis zur Wölbung der Decke, ein Dante-Porträt, Goethes Totenmaske, hier und da scheinbar zufällig an Bücherrücken gelehnte Postkarten, griechische Köpfe und italienische Mosaiken darstellend; ein Schreibtisch, davor des Professors hoher Stuhl und gegenüber ein kleinerer für den Besucher, schließlich eine einfache Couch – nichts mehr.«
    Marion Gräfin Dönhoff,
Gestalten unserer Zeit
    Ilse, das spätere »Katzentier«, wohnt im selben Stadtviertel und wird von nun an des Öfteren einen Katzensprung zu Salins gemacht haben. Die halbwüchsige Tochter Brigitte findet Gefallen an der jungen Berlinerin, die leichter lachen kann als die Mutter und so gute Geschichten erfindet und überhaupt … nach langer Zeit wieder Leben in das stille und strenge Vaterhaus bringt. So dauert es nicht lang, bis Ilse schon am Nachmittag bei den Kindern Brigitte und Lothar am Tisch sitzt, bevor Edgar, von seinen langen Tagen der Universität und Politik »verföhnt«, den Schlüssel im Schloss der Haustür umdreht.

    Leider hat Br. [Brigitte] vereinbart, was ich nicht halten kann. Ich bin »geschäftlich« wie am Mittag so am Abend besetzt, habe aber schon erklärt, dass ich gegen 9 fort muss. Könnte ich zu einem Spaziergang klingeln? Mein Kopf ist arg verföhnt.

    A rivederci E.

S.
    Manchmal kocht sie oder lässt sich von Brigitte zu Reis Trautmannsdorff und zu ihrer berühmten Berliner Roten Grütze drängen. Manch ein süßes Rezept schickt ihr auch Mutter Marie, die mittlerweile über Ilses neue Menage informiert, nicht aber erbaut ist. Auch die verstoßene Charlotte erfährt natürlich, dass in der Hardstrasse 110 eine junge, lustige Frau ein- und ausgeht, die von ihren Freunden zärtlich »Dickerchen« genannt wird und mit Lothar und Brigitte gut kann. Dass Ilse mehr ist als eine »gasthörende Gouvernante«, lese ich in kleinen Fundstücken aus den Schuhkartons – fein gefaltete Zettelchen, die in Ilses Briefkasten fliegen und liebenswürdig überdauert haben.

    Ich kann nicht mehr fort. Etwa umgekehrt?
    Doch nur kurz. Ich bin erfrischt und ermüdet zugleich.

    Herzlich grüßend
ES
    Oder:

    Zum Jahresende 1937 hat Ilse Winter in Edgar Salin einen treuen Verehrer. Noch ist er von Charlotte nicht geschieden, doch hinter mancher Gardine werden die abendlichen Spaziergänge der eleganten Studentin mit dem rigorosen Professor im Park am Sankt-Alban-Tor mit Interesse kolportiert. So sehr Ilse Salin auch bewundern mag und ihn vielleicht auch gern hat, so wenig ist sie jedoch bereit, ihre »beste Liaison« dranzugeben. Der Professor macht viele Worte, argumentiert scharf und kann auch liebenswürdig und sogar charmant sein, doch großzügig ist er nicht. Ilse aber ist mittlerweile eine verwöhnte junge Frau, die genau weiß, welcher Mann für welche Stunden gut ist. Darum verbringt sie den Jahreswechsel – nun schon zum dritten Mal – mit Fred Heim im tief verschneiten St.

Moritz. Ihre Heirat ist in weitere

Weitere Kostenlose Bücher