Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus
man sich sehr wohlfühlt dort. Wie wär’s mit einem abstecher nach Basel? Netter gedanke, nicht wahr? Besonders in der Alban-Anlage [der Park der abendlichen Spaziergänge] sitzt man so hübsch im glashaus, es wäre direkt originell.
Hören Sie, tun Sie mir etwas sehr liebes? Dann senden Sie mir auf einige tage die briefchen von den kindern [Lothar und Brigitte] an Sie, ja? Ich tät mich so sehr freuen, wenigstens die schrift wieder einmal zu sehen, und wissen Sie, für mich ist die schrift eines menschen ja ohnedies viel mehr ein stück von ihm selbst als für andere, von der grafologie her. Ich schicke sie Ihnen ganz bald zurück. Sie täten mir wirklich etwas zulieb. Begreifen kann ich’s ja nicht, dass ich jetzt nicht hinlaufen kann und die beiden in den arm nehmen und herzen und küssen – ich glaub, ich tät sie halb umbringen. Aber was soll ich. Sie wären vielleicht nur korrekt und höflich zu mir. Nicht denken.
Schreiben Sie mir ruhig. Ich will mich nicht mehr so aufregen, wirklich nicht. Und ich bin ja irgendwo, seit Sie in mein leben gekommen sind, nicht mehr hoffnungslos.
Und die geduld, die jetzt noch fehlt, die werd ich schon aufbringen, ich hoffe so sehr, dass die längste strecke gegangen ist.
Ich freu mich so, wenn Sie anrufen. Ich werde Mittwoch und Donnerstag bis ½ 8 bei Signorelli sein, dort ist übrigens auch der kuchen besser als im Verbano , wo sich jetzt die mittleren braven bürger breitmachen und einem die besten plätze wegnehmen. Verlangen Sie bitte Signora Veronica, es ist einfacher, den anderen namen können die nicht behalten. Also außer bei gewitterregen (da dürfen Sie ja sowieso nicht telefonieren) bin ich dann da.
Und mit großer, kräftiger Handschrift angefügt:
Ich bin in gedanken sehr bei Ihnen, ich weiß, dass Sie leiden, und hoffe so innig alles gute für Sie. Bleiben Sie ruhig, lassen Sie sich nicht zu sehr aufbrauchen. Der gedanke verlässt mich halt doch nicht, dass ich der anstoß war. Aber das war nun wirklich schicksal.
Liebste Ilse, ich grüße Sie von ganzem herzen,
Ihre Charlotte
Die Sommer jener Jahre verbringt Edgar Salin oft auf dem Land – im Dörfchen Burg im Leimental. Hier, etwa eine Autostunde von Basel entfernt, besitzt er ein bäuerliches Anwesen, den Sternenhof, unmittelbar an der Staatsgrenze zu Frankreich. Es ist ein hügeliges, sanftes Tälchen am Übergang der Ebene zu den Vogesen hin. »In den Dreißigerjahren kaufte er für seine Frau ein Gut im Jura, wobei ihn auch der Gedanke leitete, dort Flüchtlinge unterbringen zu können (…). Seine Hilfsbereitschaft fand freilich eine Grenze an seinen eigenen Unzulänglichkeiten«, schreibt Michael Landmann. Seitdem Charlotte hier nicht mehr Haus und Hof führt, Marmelade einkocht und für fabelhafte Quittengelees und Apfelkompotte sorgt, lässt sich Salin nun öfter von ihm genehmen Doktoranden besuchen und nutzt den Sternenhof zum Schreiben und Denken, doch seine romantische Vorstellung, Scholle und Geist gleichsam zu »beackern«, rückt mit dem Verlust von Charlotte – und somit auch ihrer Arbeitskraft – in weite Ferne. Stattdessen muss er nun einen Knecht anstellen, was die Rentabilität des Anwesens sehr bald infrage stellt.
Auch Ilse »fährt raus«. Sie kommt an den Wochenenden mit Velo oder Bahn und unternimmt lange Spaziergänge mit der nun schon fünfzehnjährigen Brigitte. Mutter Charlotte liebt den Sternenhof, und es scheint mir, als schlüpfe sie nun in Ilse, um an ihrer statt die Erinnerung zu leben. Sie schreibt weiter:
Und Burg? Es ist mir übrigens ein sehr lieber gedanke, dass Sie manchmal mit hinausfahren, Sie wissen, ich hänge an Burg, und ich weiß gerne, was dort geschieht. Wie sieht die apfelernte aus? Falls Sie es nicht wissen sollten, der merkwürdig gewachsene baum links vom ferienhaus, wo es den abhang hinuntergeht, hat die besten äpfel, blaurote, eine sorte, die ich sonst nirgends gegessen habe. Sie sind fabelhaft gut.
Ende September reist Ilse wieder nach Ascona. Der strenge Mann, der sich mittlerweile von der Gattin hat scheiden lassen, muss sich der Freundschaft von Charlotte und Ilse fügen. Er tut dies in Form eines wehmütigen billet doux in gestochener Handschrift.
7.
September 1938
Wir hatten ein kleines Stück Land gemein-
sam – genug für einen sommerlichen Zauber-
tanz. Da nun verfrüht der Herbst hereinbrach –
was soll da Klage und Vorwurf – am Wandel
der Gezeiten trägt niemand Schuld. Was schön
gewesen ist, bleibt in sich
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