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Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus

Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus

Titel: Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Heim
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evangelisch getauft war, als Jude. Um der Verfolgung in Bayern zu entgehen, flüchtet sich der Witwer schon 1933 nach Berlin, wo man ihn nicht kennt.
    Und weiter schreibt Marie:

    Und als ich ihn empfing mit dieser Last im Arme und meinte, das hätte er doch schicken lassen können, erwiderte er, sehr gentlemanlike wie immer: »Das wäre nicht dasselbe!« Dann lief er hinauf und holte noch einen großen Kasten 450

g-Frigor-Cailler-Schokolade, damit ich etwas Festes aus der Schweiz hätte, also wirklich rührend aufmerksam. Aber alles dies erfreute mich nicht so sehr wie eine Nachricht von ihm, die er anlässlich seiner Interessen auf dem frz. Konsulat auch für mich erfragte. Er wurde durch seinen Verwandten, einen Grafen, sowieso in Paris aufgefordert, hier aufs französische Konsulat zu gehen und mit dieser Referenz ein Einreisegesuch zu stellen.
    Mit dieser und mit seiner Visitenkarte Freiherr von K. empfing ihn der Konsul sofort persönlich mit der größten Liebenswürdigkeit, während alle Leute, unzählig viele, überhaupt antichambrieren müssen, ohne vor gelassen zu werden. Du hast ja keine Ahnung, was sich hier auf den Konsulaten tut. Ich glaube, durch diese Empfehlung von hier aus eine Einreise nach Frankreich erhalten zu können. Es fragt sich nur, ob Onkel Willi dort zwei 1a Bürgen stellen kann.
    Apropos Deine Erkältung, wie ist Dein Gesundsein? Schreibe sofort! Ja, mein Puppchen, diese Sachen beschäftigen mich natürlich stark, denn irgendwie muss ja ein Weg gefunden werden. Ist dieser dann offen, dann mache ich, dass ich fortkomme, und gebe das Haus in Verwaltung, weil ein Verkauf, falls bis dahin nicht ernstliche Verhandlungen mit einem Käufer eingeleitet sind, grässlich lange dauert und mir alles noch mehr erschwert wird, wie es ohnehin schon sein wird. Die neuen Verordnungen sollen es einem kaum noch möglich machen, etwas mitzunehmen, so undurchführbar sind die Wege dafür. Eine bekannte Dame sagte neulich sehr zutreffend: Mit einem Pappkarton und Hutschachtel!
    Aber ich muss Dir noch von meinem Geburtstag berichten, wovon ich ganz abgekommen bin. Ja, Blumen, wie eine Filmdiva! Kücken [Antonia Kücken, Berlin-Friedenau, Moselstraße 10, war die langjährige Geliebte von Willi Eisenberg] schickte einen Riesenbusch Tulpen, nachdem sie zufällig anrief und mir sagen wollte, dass Onkel Willi ihr Kaffee geschickt hat, und sie dabei erfuhr, dass ich Geburtstag hatte.
    Von Onkel Willi kam später ein Telegramm aus Argenteuil. Ich hatte sehr guten Kuchen gebacken und hätte Dir gern davon geschickt, wenn ich genau wüsste, ob Du Pfingsten zu Hause bist.
    Meine Käsetorte war 1a! Und keiner war da, die Schüssel auszulecken, da musste ich es traurigerweise selbst tun.
    Jagu, Grete, Marta, Herta und Frau Grünthal waren meine Kaffeegäste, mehr konnte ich in meinem Stübchen auch nicht gebrauchen, ohne die Gemütlichkeit zu stören.
    Der Inhalt Deines ersten Briefes ist so verschwommen und unklar und lässt wie immer keine festen Ziele und Entschlüsse merken. Wenn dem so ist, muss man doch klaren Blickes seiner Wege gehen und endlich wissen, womit man zu rechnen hat? Vielleicht ist man sich bald mal schlüssig darüber und Du schreibst mir etwas dazu?
    Dass Du so nette Garderobe gekriegt hast und die Vogel es ordentlich macht, ist ja angenehm und auch wohl nicht so teuer. Und das neue Complet, ist das schon fertig, sicher doch zu Pfingsten? Es ist auch hier grausig kaltes Wetter, und ich bin dabei immer in großer Sorge um Dich, die Du ja stets mit nackenden Schenkeln bis oben hinauf herumläufst! Ich warne Dich immer wieder vor einer Nierenentzündung. So schnell hat man so etwas.
    Ein gesunder Körper ist das größte Glück, mein liebes Kind. Leider wird an ein Treffen im Schwarzwald nicht zu denken sein, da ich Dir ja schrieb, dass ich das Geld dafür für Steuern [»Sühneleistungs«-Abgabe, wonach Juden 20 Prozent ihres Vermögens abgeben mussten] verwenden muss. Auch will ich sehen, was Onkel Willi oder Du mir über das Auswandern für Nachricht gebt, und habe keinen Kopf für andere Sachen.
    So, mein liebes Kind, nun genug, verlebe angenehme Pfingsten und erkälte Dich nicht dabei.
    Erledige bitte alles aus dem Inhalt dieses Briefes prompt und schreibe auch an den Gesandten nach Paris, den Du im vorigen Sommer an der plage in Cannes kennenlerntest, dass er ein Rendezvous mit Onkel Willi vereinbart.
    Leb wohl und lass Dich mit nochmaligem herzlichem Dank innigst umarmen.

    Deine treue

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