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Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus

Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus

Titel: Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Heim
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Mutti

    Berlin, den 25.

Juli 1939
    Meine geliebte Ille,

    komme erst heute dazu, Dir Deinen lieben letzten Brief zu beantworten. Vor allem freue ich mich, dass Du gesund bist, aber mit den Nerven bist Du doch ziemlich fertig, und ich fragte Dich doch so oft, woran Du eigentlich jetzt arbeitest. Schön, dass Du Dir Confitüre einkochst, aber lass nicht alles von der Schickse [Brigitte?] vertilgen, denn es gehen immer Unmengen an sie weg, es macht doch schließlich viel Arbeit.
    Wegen des Hauses wird gar nichts bei mir überstürzt. Nun habe ich so lange gewartet und viel falsch gemacht, da muss auch jetzt noch so viel Zeit für besonnene Dispositionen sein.
    Onkel Willi schreibt mir als Antwort auf meine Anfrage, wie viele Möbel ich mitnehmen soll, dass ich alles mitnehmen solle, er will ein kleines Haus mieten oder auch ein größeres mit R.s zusammen und davon möblierte Zimmer abgeben. Ich soll ihm eine Aufstellung schicken von den Sachen, die ich noch habe. Von seinem Freund S. würde er dort zwei Zimmer möblieren und zwei Couchs bekommen, da dieser nach Brasilien geht.
    Bei mir fragt es sich nur dabei, ob der Transport etc. sich nicht wahnsinnig hoch beläuft und es dadurch unratsam wird, andererseits sind alle meine Sachen qualitativ gut, aber hier müsste ich sie für ein Hundegeld verschleudern. Das alles werde ich heute ebenfalls Onkel Willi beantworten und mit ihm beraten. Erst muss alles Vorangehende todsicher geklärt sein.
    Für alle Fälle habe ich begonnen, Französisch zu lernen, und habe bereits meine erste Stunde gehabt bei einem sehr feinen älteren Mann, Dr.

Kaufmann. Er kommt ins Haus für 1,25

M! Wenn ich hier noch jemand für ihn hätte, gäbe er mir 3 Mal in der Woche zu 1

M. Ich werde noch nicht zu verkalkt dafür sein, denn ich verstehe den Inhalt eines reizenden modernen Sachbuchs, Brush up your french , von einem Engländer verfasst, sehr gut. Vielleicht kennst Du es? Der Text ist englisch und französisch, aber in der Stunde spreche ich nur französisch mit Dr.

Kaufmann. Ach Gott, auch so was muss noch in meinen Schädel hinein! Trotzdem ist es nötig, und ich habe jetzt noch Zeit dazu, wenn es gottbehüte losgeht, werde ich ohnedies mit allem anderen umspringen.
    Vieles spricht dafür, dass es sich bei Maries Privatlehrer um den Juristen und ehemaligen Oberregierungsrat Dr. Franz Kaufmann (1886–1943) handelt, der in Berlin-Halensee wohnt. Nach seiner Zwangsversetzung in den Ruhestand 1935 muss er sein Ruhegehalt aufbessern und versucht seit Ende 1938 vergeblich, in die Schweiz zu entkommen. Obwohl evangelisch getauft undvon der Bekennenden Kirche unterstützt, erteilten die Schweizer Behörden ihm keine Einreiseerlaubnis.
    Von 1942 an unterstützt Kaufmann zusammen mit Angehörigen der Dahlemer Bekenntnisgemeinde zahlreiche untergetauchte Juden und vermittelt ihnen Quartiere, falsche Papiere und Lebensmittelkarten. Im August 1943 wird er von der Gestapo verhaftet, vor Gericht gestellt und später erschossen.

    Stelle Dir vor, gestern Nacht hält die Feuerwehr, zwei Wagen mit Mannschaft, vor meiner Tür! Es war halb zwölf, ich war noch nicht eingeschlafen. Als ich vor meinem Fenster so lebhafte Stimmen hörte, ziehe ich meine Vorhänge zurück und sehe die Bescherung vor meinem Haus! Höre jemand nach oben rufen: »Brennt’s denn bei Ihnen?« Indem mache ich das Fenster auf und frage, was los ist. Ein Mann hatte schon die Leiter ans Gitter gestellt, um rüberzusteigen, weil es doch geschlossen war. Also ich hinaus, öffne, wecke den Portier. Dieser geht mit den Feuerwehrleuten hinauf zum Boden, zur Mansarde, wo meine Mieterin, eine jüdische Krankenschwester, auf war und schrie und staunte, was die wollen, inzwischen war ich ihnen auch schon entgegengekommen, kannst Dir ja meinen Schreck denken! Gar nichts war, es muss ein Irrtum in der Meldung gewesen sein, blinder Alarm, man zog mit Wagen und dem ganzen Aufwand wieder von dannen! Schön, was? Oh Gott, so was auch noch, hat man nicht genug Klimbim immerzu?
    Tagsüber war man voll beschäftigt im Hause, die Verdunklungsvorrichtungen fertig zu machen, denn es wird in diesen Tagen wieder eine große Luftschutzübung stattfinden. Auch ich sitze in meiner Wohnung mit bereits mit schwarzem Papier verklebten Fenstern, wovon nur teilweise etwas hell gelassen ist. Na, auch das Wetter ist derartig trübe, es gießt tagelang in Strömen, kalt wie Herbst, sodass es auch ohne Papier verfinstert ist.
    Man kann langsam, aber

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