Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus
Schweizerischen Fremdenpolizei deutlich gewesen sein: Aus eigener Kraft wird Marie kaum mehr aus Deutschland herauskommen. Ihre Gänge zu den Konsulaten und ihre Hoffnung auf eine geordnete Ausreise entbehren immer mehr der tatsächlichen Situation. Nach dem Sommer unterliegen die Anträge zudem scharfen Kontrollen der US-Behörden.
Marie unternimmt alles in ihrer Kraft Stehende und lässt sich auf Anraten nun – wegen ihres Geburtsorts Warschau – eine Wartenummer für polnische Staatsbürger erteilen. Sie hofft dadurch auf eine schnellere »Abfertigung«, und Louise ist bereit, ihr eine second chance zu bieten.
Berlin, den 21.
April 1941
Liebste Ille,
heute erhielt ich einen Luftpostbrief von Louise, worin sie mir, wie ich vorausgesehen, ein neues Affidavit gegeben und dasselbe an den hiesigen Konsul direkt gesandt hat. Auch eine Passage will sie mir geben, was aber unmöglich, da die Schiffe keine Reservierungen annehmen. Also auch für die Überfahrt wird sie aufkommen, ein goldiger, guter, gebentscher [gesegneter] Mensch.
Sie schreibt allerdings, was ich tun werde in diesem Lande, ob ich mir das überlegt habe? – Ja, das möchte ich allerdings auch wissen, diese Frage ist sehr berechtigt, denn es ist nämlich mit diesen Leuten so, sie sind hilfsbereit in pekuniärer Hinsicht, wollen aber sonst nicht behelligt werden.
Wenn Du mit mir zusammen rausgehst oder Onkel Willi, ist ja alles gut, allein bin ich dazu nicht imstande. Man könnte ja nach Hollywood gehen, wo Lewins leben und wo es himmlisch ist. Arbeiten müssen sie dort alle tüchtig, Frauen haben als house keepers immer einen Job, Berta verdient 10 Dollar die Woche incl. Verpflegung, aber wie gesagt schwer, sie ist 55 Jahre und hat auch nicht mehr die Kraft. Sie schreibt, sie hätte mehr lernen müssen, z.
B. Autofahren, mit der elektrischen Maschine nähen, Massage, so etwas wird gut bezahlt. Na, ich habe ja bis hundert Jahr mein Kind, das hoffentlich mal imstande sein wird, mich etwas zu unterstützen. Aber wann wird das endlich möglich sein?
Und obgleich ich mir fest vorgenommen hatte, Dich nicht mehr nach Deinen Plänen zu fragen, tritt doch wieder der Moment an mich heran, wo ich mich danach richten muss und Dich fragen: Gehst Du nun mit mir nach drüben, oder was wird mit Dir, worauf wartest Du noch?
Du kannst es doch wohl begreifen, dass ich alles hier davon abhängig machen muss, und ich kann doch nicht beginnen, wenn ich nicht weiß, in welcher Form ich auflösen soll, was ich verkaufen soll und was ich mitzunehmen habe. Die Transportkosten sind enorm, also muss reiflich überlegt werden, was außer Garderobe und Wäsche nötigenfalls mit soll. Und das Deine dort? Was soll davon verkauft werden, wahrscheinlich doch das ganze Mobiliar?
Wenn Du mit mir gehst, wird Mrs. Mills [die Cousine aus Chicago] anstatt mir Dir alles Nötige geben, da ich sie ja nun wahrscheinlich nicht brauche, denn ich hoffe, dass das Affidavit von Louise derartig 1a ist, dass es ausreichend sein wird. Also, ich hoffe, dass auch Du bezüglich Ausreise versorgt sein wirst, wenn ich nur echt wüsste, wozu Du Dich ernstlich entscheidest. Man muss doch, wenn man nun diesen Gedanken mit USA in die Tat umsetzen will, systematisch anfangen, ihn mit Hand und Fuß zu bearbeiten, es ist keine einfache Sache hier im Lande, viele Menschen, besonders ältere, klappen in letzter Minute zusammen.
Ich werde nun Herrn Bendix benachrichtigen, dass das Affidavit auf dem Konsulat liegt, und er wird ja wissen, wie weiter vorzugehen [ist], er meinte ja, dass meine Nr. dabei kein Hindernis sei, sobald finanziell alles Gewünschte erfüllt wird. Meinst Du, dass, wenn ich ein Visum habe, ich bei Dir warten könnte, um gemeinsam rauszugehen? Das wäre ja vor Glück nicht auszudenken!
Dann könnte ich Dir dort wenigstens noch helfen aufzulösen. Ach Gott, so hat man immer wieder einen Strohhalm durch den heutigen Brief von Louise, das ist ein Glück, wie könnte man sonst durchhalten! Sage Onkel Willi diese Nachricht, wie weit ist er inzwischen? Auch erwarte ich Deinen Bescheid wegen Dante und was außerdem noch gern an einem Neuen gewünscht wird, weil es in einem erledigt werden könnte, also frage Oertl, was er noch braucht. Was kostet eigentlich dort eine neue Schreibmaschine, die alte könnte doch angerechnet werden? Es interessiert mich sehr, der Schokoladenonkel könnte sie Dir doch zum Geburtstag schenken. Sonst, mein Liebes, heute nichts weiter, hoffentlich bist Du
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