Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus
gesund, und hoffentlich sind gute Nachrichten unterwegs, die ich sehnsüchtig erwarte.
Mit herzhaften Küssen wie stets –
Deine Mutti
Im März 1941 macht sich Marie auf den Weg zu Bruno Bendix, der ihr aus Basel empfohlen worden ist. Bendix, ein Berliner Jude, steht gerade im Begriff, seine Wohnung zu räumen, da er für einen »arischen« Hauptmieter Platz machen muss. Bendix ist bei ausgewanderten Juden eine bekannte Figur, da er sich im Dschungel der Verordnungen zurechtfinden kann, Ratschläge erteilt und gegen Bezahlung auch die Papiere auf den Weg bringt. Marie braucht Hilfe, denn trotz Louises zweitem Affidavit erfüllt sich die neue Wartenummer nicht.
Am 11.
Mai 1941 schreibt Bruno Bendix an Ilse nach Basel:
Sehr geehrtes gnädiges Fräulein,
bei meinem letzten Besuch in der Landhausstraße hat mir Ihre Frau Mutter Einzelheiten aus Ihrem Brief vorgelesen, und ich möchte, da ich die Dinge wahrscheinlich besser übersehen kann, Ihnen hier auf Verschiedenes antworten. Soviel aus dem Brief des National Refugee Service an das hiesige Konsulat zu ersehen ist, sind das Affidavit und die dazu notwendigen Papiere an sich sehr gut und ausreichend. Nichtsdestoweniger habe ich Ihre Frau Mutter darauf hingewiesen und muss auch Sie darauf aufmerksam machen, dass die Möglichkeit einer schnellen Abfertigung durch das hiesige Konsulat wegen der hohen polnischen Quotennummer durchaus nicht gegeben ist. Seien Sie aber versichert, dass ich alles nur Mögliche in der Angelegenheit unternehmen werde, um das Günstigste herauszuholen.
Ich habe mich gefreut, Ihre Frau Mutter kennenzulernen, und es macht mir Vergnügen, ihr mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.
Ihnen für das bevorstehende Examen, von dem ich hörte, alles Gute wünschend, verbleibe ich mit den besten Grüßen
als Ihr sehr ergebener
Bruno Bendix
Ilse ist durch Maries Zwangslage zunehmend überfordert. Sie hat auch eigene, sie drängende Lebensprobleme zu bewältigen. Marie demonstriert Realismus und sucht sich »andere« Hilfe, ohne je von Ilse lassen zu können. So wird sie sich immer tiefer im Dickicht der »letzten Strohhalme« Siam, Kuba, Shanghai, Palästina, USA verirren. Hilfe wird nur von außen kommen können – doch das wird noch dauern.
Am 23.
Oktober 1941 verbietet ein Geheimerlass die Ausreise aller Juden aus Deutschland und den besetzten Gebieten. Menschen wie Marie wird das nicht mitgeteilt – man lässt sie strampeln, derweil in Berlin am 18.
Oktober der erste Deportationszug mit 1
013 Menschen vollgepfercht wird.
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»Ach Gott, was weißt denn Du in Deinem Dorado von meinen Schmerzen.«
MARIE WINTER AM 1.
OKTOBER 1940
Ab Anfang März 1940 entfaltet Alfred Heim eine rege Reisetätigkeit zwischen Basel, Mulhouse und Lyon. Die Fabrik der Heim- frères wird vorsorglich auf Stilllegung und Demontage vorbereitet. Im alten Pass von Fred Heim sehe ich zwischen März und Oktober 1940 zwei Dutzend Grenzgänge. Sinn des Pendelverkehrs ist es auch, Firmenvermögen in die Schweiz zu bringen – die Summen finden sich im Pass verzeichnet. Die Brüder haben den unmittelbar bevorstehenden Angriff Deutschlands auf Holland, Belgien und Frankreich vorhergesehen und versuchen, sich darauf einzustellen.
Frankreich kapituliert am 25.
Juni. Postwendend schreiben die Heim- frères mit Poststempel vom 9.
Juli aus dem unbesetzten Villefranche-sur-Saône an den Direktionsbeamten im Schweizer Außenamt, er möge den Geschäftsträger im schon besetzten Elsass auffordern, den Besitz und die Interessen der unzerstörten und neutralen Firma zu wahren, denn kurz darauf konfisziert die Wehrmacht Gebäude und Produktionsmittel und lässt die geübten Näherinnen den ganzen Krieg über Uniformhemden für alle Waffengattungen herstellen.
Für diese »Bereitstellungen« erhalten die Heim- frères monatliche Entschädigungen ausbezahlt. Nicht ganz ohne Einnahmen, wenn auch ohne feste Arbeit, beugen sich die vier Direktoren biszum Frühjahr 1945 beinahe täglich in ihrem Zürcher Büro an der Genferstrasse über die Weltlage. Sie kommentieren die politischen und militärischen Entwicklungen, stecken Fähnchen in eine große Karte, und einmal im Jahr werden sie mit ihren »Landsturmjahrgängern« an die Grenzen abkommandiert.
Füsilier Heim im »Aktivdienst«, 1941
So vergehen die Jahre. Die Schwestern nehmen zwei jüdische Flüchtlingskinder bei sich auf, und die Herren Heim warten gemeinsam darauf, wieder in die gewohnten Gänge
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