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Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus

Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus

Titel: Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Heim
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Hiroshi Kitamura. Sein Brief aus schwerem handgeschöpftem Büttenpapier kommt aus Rom, Via Condotti 21. Eine feine Adresse, fünf Gehminuten zur Spanischen Treppe. Hier hat Signore Kitamura seinen Hauptwohnsitz, doch mehr noch ist er unterwegs im Europa der Achsenmächte. Er ist Japaner und so mit Italien und Deutschland verbündet. Kitamura ist seit einem Jahr Sonderkorrespondent für das Tokioter Massenblatt Yomiuri Shimbun und berichtet von den Fronten: aus Eritrea und vom Balkan, von der albanisch-griechischen Front und auch über Mussolinis markige »Giovinezza-Auftritte«. Neben diesen journalistischen Anstrengungen, den Querelen mit der Zensur und langen Wartezeiten auf dem Telegrafenamt genießt Hiroshi – wohl schon ein wenig verliebt – den römischen Frühling:

    Rom, den 28.

April 1941

    Hier in Rom verliere ich ganz jede Ambition. So freue ich mich über den schönen Vorsommer im Pincio, arbeiten soll man, aber nicht in Rom. Ich verbrachte den letzten Sonntag an der Via Appia, den vorletzten beim Albaner See. Es wäre wirklich nett, wenn wir einmal hier zusammen wandern könnten.
    Wie kommt Ilse im Frühjahr 1941 an den zugewandten Brief – in fließendem Deutsch – eines Japaners aus Rom? Der zweite Brief an »meine liebe Ilse« vom 31.

Mai gibt erste Auskunft.

    Meine liebe Ilse,

    Deine Zeilen und Deine Fotografie haben mich gefreut. Ich habe eigentlich angenommen, dass die Prüfung schon hinter Dir liegt. Nun seufzt Du immer noch über die schwere Belastung. Genau so wie Du mir, werde ich auch Dir empfehlen, die Dinge möglichst leicht zu nehmen. Du könntest ruhig »erfinden«, wenn Du keine »Belege« hast. Es geht wenigstens in Basel so. Also voran mit frischem Mut!
    Es würde mich sehr interessieren, wie ihr über mein Buch Zur Theorie des internationalen Handels diskutiert.
    Es wird demnächst auch im »weltwirtschaftlichen Berlin« besprochen.
    Das Buch hat für mich als Erinnerung an meine Basler Studienzeit die größte Bedeutung. Es ist wirklich so, wenn ich darin blättere, kommen das alte Seminargebäude, die Keynes-Diskussion bei Salin, all die Auseinandersetzungen und die Unterkonsumtheorie von Dir wieder in lebhafte Erinnerung.
    Dr.

Hiroshi Kitamura, geboren am 21.

November 1909, ist auch ein »Basler«! Er studierte von Oktober 1933 bis zum Frühjahr 1939 Politikwissenschaften an derselben Universität und hat sicherlich gute Vorstellungen von Ilses Leben zwischen Hardstrasse, dem Kollegienhaus am Petersplatz und den Gässchen links und rechts vom Spalenberg.
    Er hat bei Edgar Salin 1938 mit einer Dissertation über Die Theorie des internationalen Handels promoviert, die 1941 von seinem Doktorvater in einer Publikation der Staatswissenschaftlichen Studien verlegt wird. Auf den kurzen Wegen der gemächlichen Stadt ist er der um drei Jahre jüngeren Ilse zwangsläufig begegnet. Die geselligen Abende in der Privatbibliothek des Professors werden das ihrige zur guten Erinnerung beigetragen haben. Doch solange der ehrgeizige Hiroshi in Basel studiert, ist Ilse für ihn kaum erreichbar, zu nah an Salin, zu verwöhnt für einen Studenten ohne Einkünfte. Aber jetzt, zwei Jahre später, steigt er auf der Karriereleiter und verspricht, ein interessanter Mann zu werden, ein kultivierter Sonderkorrespondent mit gut gefülltem Spesenportfolio.
    Es gedeiht ein sommerlicher Briefwechsel über die Alpen hinweg, und Ilse kann es längst nicht lassen, Hiroshi in Rom zu ihrem längst innig und manchmal auch schmerzlich vermissten »GAS« zu schicken. Die beiden Männer treffen sich öfter, und so erfahren wir auch, dass der einstige KPD-Genosse mittlerweile »sein Bureau im Ministerium erweitert hat und nun mit der ihm eigenen Ruhe zwischen seiner Landvilla [sic!] und dem ›ufficio‹ wandert. Heute werde ich eventuell bei ihm vorbeigehen, um Deine Grüße zu übermitteln. Wir sprechen oft von Dir, Ilse.«
    Wie müssen Ilse da die Ohren klingeln! Ihr ganzes wildes, meschugges Berlin: »Molz« und seine Weltrevolution, der aufwühlende Ketzer Mehring, Agitprop und Glamour, die Nächte um die Ohren, schwereloses Leben – bis zum großen Knall. Ausradiert und abgehauen, zertrampelt und zerborsten, alle weg, es war doch so gut, jetzt ohne Rückkehr, knapp genug für Erinnerung und Wehmut. Starke Bilder ziehen vorbei: Menschen, Fetzen, Laute, Lust rasen durch den Kopf – Totenstille bleibt. Nicht denken, innehalten, Luft anhalten, abtauchen.
    Hiroshi gerät in Ilses Vexierbild des

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