Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus
gemacht wird. Marie sieht ihre letzten Chancen, Kuba und Ilse, schwinden. Dennoch raten Freund Bendix und auch der »Hilfsverein« unverdrossen zu einem Kubavisum als Tor in die Vereinigten Staaten.
Als Ilse davon erfährt, kabelt sie sofort an Berenice Mills nach Chicago:
Mutter höchste Lebensgefahr. Sofort Cubaausreise einzige Rettung […]
Flehentlich – Winter […]
Marie hat Vorstellungen davon, wie ihre Rettung organisiert werden soll. Ilse notiert Anweisungen.
Berlin, den 23.
Oktober 1941
Liebste Ille,
Ach, alles wird schlampig erledigt. Du wirst nicht gründlich in Deinem ganzen Leben, nur Aufregung und Schwierigkeiten erleide ich mehr und mehr dadurch, noch dazu in dieser Zeit. Früher war ich jung und hatte noch Widerstandskraft, alles leichter zu verdauen, obwohl es mehr als genug war. Bald ist mir alles zu viel. Nachdem ich nun gestern endlich mein Kabel bei der Hapag loswurde und 150
M. dafür deponierte, höre ich von neuen Bestimmungen, dass keine Kabel abgehen sollen, auch sei die Ausgabe von Pässen unterbrochen. Ich bitte Dich, sofort an Louise Kaufman, New York, 211 Central Park West zu kabeln. »Mother in terrible excitements asks for quick help by Kubavoyage and passage. If too expensive arrange together with Bernie Mills, Chicago, 3160 Sheridan Road.« Also muss ich nach Chicago kabeln, was ich erst von Dir wollte. Ich erhielt heute Post vom 23.
September von Louise, deren Inhalt belanglos ist, weil ich inzwischen wegen Kubavisum einen eingeschriebenen Luftpostbrief am 2.
Oktober schickte, worauf ich noch keine Antwort haben kann, möchte aber, dass sie obiges Kabel erhält.
Die Leute haben da alle scheinbar eine lange Leitung an ihren vollen Schüsseln der Vorsehung. Es ist eben immer wieder so, dass jeder nur sein eigenes Leid tragen muss.
Man merkt ordentlich, wie einem das Wasser am Ertrinken immer höher kommt. Herta Misch habe ich auf ihre Nachricht hin, als ich aus der Stadt kam, besucht und nachher Marta Baum, die doch nebenbei wohnt, um zu sehen, ob sie noch da sind.
Herta und Mann meinten, dass ihre Abreise abends möglich sein könnte, aber wenn nicht, haben sie eben noch Glück. Ich bin ganz krank da abgezogen, und bei Marta liegt alles parat: Rucksäcke, zulässiges Mitnahmegut, für jeden genagelte Bergstiefel, die sie natürlich anziehen. Jeder noch Kaffee und einen kleinen Holzkarren!, worauf sie alles schnallen wollen und den sie hinterherziehen.
Rieten mir, mir das auch zu kaufen! Ach Gott, wohl denen, die das nicht sehen und mitmachen müssen. Vorläufig soll es Gott sei Dank gestoppt sein und Herta ist hoffentlich zu Hause.
Marta hat noch keine Kündigung, aber gründlich und besonnen, wie sie in allem ist, ist sie reisefertig und braucht nur abzuhauen.
Ich kann das nicht und bin einfach nicht fähig zu solchen Vorbereitungen. Der Gedanke, doch noch in letzter Minute einen glücklichen Ausweg zu finden, treibt mich ausschließlich zu entsprechenden Diesbezüglichen.
Ich denke an Gas, ich denke an Hiro, die sich mit mir beschäftigen sollten. Auch Edgars Päckchenonkel [Sommer] könnte Dir Hoffnung geben, ich kann ihn doch natürlich nicht aufsuchen, aber wenn Edgar ihn bäte! Ja, ja, uns fehlt, wie man so sagt, ein »Kümmerer« in meinem Alter. Aber ich hoffe trotzdem unverzagt mit meinem starken Willen auf ein Wiedersehen mit Dir, wo es auch ist in der Welt.
Berlin, den 30.
Oktober 1941
Mein Geliebtes,
Ja, wenn es noch einen Gott gibt, muss er Erbarmen haben, und nur mein fester Glaube hält mich aufrecht, und es muss mir doch geholfen werden, solange Zeit dafür vorhanden. Augenblicke sind kostbar, und nichts darf unversucht bleiben. Meine ganze Zuversicht bist nur Du, mein Gutes, und ich rechne auch damit. Brennend warte ich hier auf Antwort von Louise und denke mir, die Verzögerung entstand, weil diese sich mit Mills nach dem Erhalt meines Kabels verbunden hat. Herta und Mann sind abgereist. Ihre langjährige Stütze empfing mich in der Küche, weil alle Zimmer versiegelt waren. Ich wünschte, sie hätte mir das alles nicht geschildert, ist denn so etwas zu fassen!!!
Ach, mein Herz ist mir so schwer wie nie in meinem ganzen Leben! Ich bin wie gelähmt und kann nichts beginnen. Für eine Weile soll [die Deportation] unterbrochen sein, und ich hoffe, wer ein Visum hat, kommt dafür nicht infrage. Leute über 60 können regulär auswandern, Gott gebe es!
Die »Abreise« von Maries guter Freundin Herta und ihres Mannes Julius
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