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Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus

Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus

Titel: Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Heim
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in der Schweiz sehr bald Verantwortung von ihm fordern wird. Sein Liebesverhältnis zu ihr aus dem Jahr 1938 wirkt nach. Ilse könnte ihn vielleicht erpressen. Auch seine akademischen »Carepakete« sind nicht über jeden Zweifel erhaben. In der Fakultät wird »laut« gemunkelt, er fürchtet um seinen Ruf. Eine schnelle Heirat mit seinem gelehrigen Schüler würde den Albträumen ein Ende bereiten, und über den frisch vermählten Hiroshi könnte er doch noch lange Zeit mit gönnendem Blick wachen. Während Salin versucht, Hiroshi nochmals auf Kurs zu bringen, gehen Mutter und Tochter im November 1941 durch eine tiefe Krise. Am Tag von Hiroshis Geburtstag schreibt Marie in Berlin: »Ich selbst kann mir nicht mehr helfen, wenn es Dir noch glücken sollte […] und ich klammere mich noch ein bisschen daran.«

    Berlin, den 24.

November 1941
    Ja, ja, mein Gutes,

    ich verlange und erhoffe nichts weiter vom Schicksal, als Dich gesund in meinen Armen zu halten, alles andere und Weitere muss sich finden und ist mir völlig wurst. Nur, wird sich dieser einzige Wunsch erfüllen können?
    Die Verneinung will ich mit Gewalt nicht aufkommen lassen, sonst könnte ich nicht mehr leben.
    Du hast leider recht, mein Armes, es gibt immer und immer Hindernisse in dem, was Dich glücklich machen würde, aber ist denn das nun mit Hiro absolut unüberbrückbar? Es dürfte doch eigentlich keinen Hinder nisgrund geben, wenn man sich miteinander so fühlt, glücklich zu werden. Wenn diese Heirat bestünde, wäre alles geschafft, und noch ist es Zeit, trotzdem Du gegenteiliger Ansicht bist.
    Deine Idee mit japanischen Mietern ist undurchführbar, man hat doch keine freie Verfügung über Vermietungen, es besteht Mieterschutz außerdem, also kann auch keinem gekündigt werden. Kündigungen geschehen heute für Juden nur durch die Gemeinde auf Befehl der Behörde, zur Evakuierung, und darin mit Volldampf.
    Ach, ich will nicht daran denken. Jeder Tag neuer Kummer. Meine Freundin zeigte mir gestern eine Zuschrift, nach der niemand in Charlottenburg ein Stück aus seinem Besitz veräußern darf. Ist ja auch alles ganz egal, benutzen darf man es, solange man noch hier ist, dann adieu, du schöne Heimat.
    Obgleich Du die Erbin von allem bist und es Dir gehört, belanglos. Nur wenn Du nicht so lange mit Deiner Verheiratung herumgemacht hättest, wäre alles anders. Nichts ist erreicht worden in den bangen Jahren des Ringens. Hiro soll Probleme und Erwägungen ad acta legen, noch ist es Zeit. Und Fredi, der gute alte? Und Menschenskind, wo ist der Gripspunkt in Deinem Gehirnkastel, fass doch mal dahin, ob der Vernunftsinn gar nicht mehr reagiert!
    Verstehst Du mich denn nicht? Jeder findet es unfassbar mir gegenüber, was Du da gesündigt hast. Und jeder sagt, und die Tochter hat mich doch anscheinend so lieb. Warum denn das alles? Ja, ja.
    Überlege alles und handle danach und antworte mir genau, wie zum gewünschten Ziel zu kommen ist. Jeder Tag ist kostbar für mich. Du siehst ja aus meiner Sprache, in welcher Verfassung ich bin, und immer wieder taube Ohren, die ja jetzt im Augenblick hören müssten.

    Deine arme verlassene Mutti

    Berlin, den 30.

November 1941
    Mein Einziges,

    Deine letzte aus Zürich erhaltene Karte besagte, dass Du bei allem bitteren Kummer mit mir auch noch Deinen eigenen wieder hast – wie schrecklich mir dabei zumute ist! Dass sich leider niemals Deine Wünsche bezüglich Gefühl und Herz erfüllen, ist eine Strafe Gottes, warum man das verdient hat, bleibt ungelöst und wie vieles ein Geheimnis im Kampf ums Dasein. Oh ja, mein Gutes, wir haben es beide schwer. Als Vati merkte, die Pechsträhne erfasst auch ihn wieder, hat sein labiles Herz nicht mehr wollen, wohl ihm heute!
    Heute sinnen alle meine Unglücklichen darüber nach, wie man doch auch so plötzlich einschlafen könnte; aber selbst darin hat der alte jüdische Gott kein Einsehen mehr, verrecken muss alles, schlimmer als Aussatz. Unsere Unterhaltungen basieren nur darauf, wie bringt man sich vor dieser Höllenfahrt um? Ich finde, es gehört weniger Mut dazu, als zum Entschluss, die Evakuierung anzutreten in meinen Jahren und in meinem körperlichen Zustand.
    Na, genug davon, mein Geliebtes, noch ist ja nicht aller Tage Abend, und ich hoffe weiter auf Dich und Deine Hilfe und lehne jeden Vorschlag zur Vorbereitung zum Aufbau in Polen ab wie die Pestangst. Was will man mit mir altem Krüppel denn dort?
    Heute empfing ich vom Kubanischen Konsulat Genf

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