Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus
habe?
Grüße & Küsse & alles Beste,
Deine Mutti
Die »Göre«, die am 15.
November vom jüdischen Wohnungsamt in den letzten noch freien Raum des Hauses eingewiesen wird, ist die zweiundzwanzigjährige Ruth Lastmann. Ihre Bemühungen, sich als Mischling anerkennen zu lassen, bleiben ohne Erfolg. Ihr Leben in der Landhausstraße ist nur von kurzer Dauer, am 28.
März 1942 wird sie mit dem 11.
Transport nach Piaski deportiert.
Am 22.
Oktober reist Hiroshi Kitamura mit dem Simplon-Express in die Schweiz ein, er hat ein Visum für vier Wochen. Zweck seines Aufenthalts sind diverse Besprechungen mit den Herren Salin und Oeri in Basel, mit Dr.
Weibel bei der Neuen Zürcher Zeitung und Besuche bei der japanischen Gesandtschaft in Bern. So steht es in seiner Einreisebewilligung. Der wirklich drängende Anlass für diese Reise wird Ilse sein. Kurz vor seiner Abreise feiert er mit ihr am 21.
November seinen zweiunddreißigsten Geburtstag. Doch was ein honeymoon werden soll, endet im Disput. Hiroshi fürchtet sich vor einer Bindung und tritt den Rückzug an. Am Tag der Abreise hinterlässt er einen Zettel:
Liebe Ilse,
warum ist alles so schwer, und warum ist man sich über den eigenen Entschluss alles andere als klar?
Nach seiner Rückkehr nach Rom schreibt er auf, wie es um ihn steht.
Rom, den 25.
November 1941
Liebste Ilse,
vieles fehlt mir seit meinem Abschied. Im fahrenden Bett liegend, dachte ich lange an Dich, bis ich schließlich etwa bei Florenz vor Müdigkeit einschlief: an die so schönen Abende, die Du mir bereitest, an das vollkommene Glücksgefühl, mit dem wir an meinem Geburtstag vereint waren. Aber auch an die schrecklichen Worte, die Du mir am letzten Sonntag warfst: »Verkapselung«, »Maske«, »Gesicht« – diese Wörter sind mir tief schmerzlich ins Herz eingraviert worden.
Du warfst mir vor, so als ob ein Leben ohne Gefühlsregung unter einer betrügerischen Maske geführt würde. Danach schrieb ich auf einem Pa pier zusammenhanglos folgende Sätze nieder: Warum nicht Freude trennen, wie vereint? Verletzbares Herz, aber nichts soll die edle Seele betrüben! Seele, die lieben versteht – aber verzehre nicht Gefühle!
Als Du mich dann zur Mittagszeit besuchtest, wurde es mir klar: Der innere Drang kam aus einer an sich gedrängten Situation – seelische Widerspiegelung eines äußeren, nicht zu negierenden Tatbestandes. Aber so verstand ich Dich gut. Ich neige den Kopf tief vor dem inneren Kampf, den Du führst, nur noch führst.
Dieser Kampf muss schwer sein, ich weiß es genau, liebste Ilse, ich weiß aber nicht, ob es mir allein möglich ist, die Schwere des Kampfes zu mildern.
Oder muss man den Weg, zu dem bereits einige Schritte getan worden sind, bis zum Ende, bis zur Krise durchgehen, und dann werden sich alle hässlichen Halbheiten von innen her auflösen. Dies oder jenes, die Wege sind gewiss nicht leicht gangbar. Aber der Mut hierzu wird nicht fehlen, wenn man einen viel verzwickteren Kampf im Inneren Jahre hindurch zu führen imstande war. Ob ich Dir hierbei irgendwie helfen kann – das weiß ich nicht. Da hast Du vollkommen recht, wenn Du mir die fehlende Einsatzbereitschaft vorwirfst. Aber ob man sich selbst »knock-out« erklären kann? Es scheint Feigheit zu sein, aber der wirkliche Mut gehört dazu.
Bei unserem Abschied am Bahnhof versprach ich Dir, mir die Dinge noch weiter zu überlegen. Ich werde es tun, weil ich Dich liebe.
Hoffe, dass unser gemeinsamer Lehrer auch so denkt.
In liebsten Gedanken umarmt Dich, liebe Ilse,
Dein Hirosi
Nun ist es klar. Ilse liebt Hiroshi. Sie will ihn heiraten und Frau Kitamura werden. Damit würde sie auch Marie einen Lebenswunsch erfüllen, wenn auch nicht die unmittelbare Rettung durch Heirat, die eine Ehe mit Fred Heim gebracht hätte. Doch Hiroshi »wackelt«, ihm fehlt der Mut, die ungestüme und sinnlich begabte Ilse an sich zu binden. Er genießt das Abenteuer, er kann die Verliebtheit erwidern – aber eine Ehe, Kinder, eineFamilie? Wovon soll er sie alle ernähren? Noch ist es auch für ihn ein weiter Weg dahin, und die Zeiten sind unsicher. Und was wird die japanische Familie sagen, wenn er nach dem Krieg eine deutsche Jüdin mitbringt? Er zögert und zaudert.
Klar wird auch, dass Edgar Salin diese Verbindung fördert. Der gemeinsame Lehrer wünscht sich eine Ehe für Ilse, nicht weil er sie uneigennützig »unter die Haube« bringen will, nein, er fürchtet, dass Ilses prekäre Situation
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