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Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus

Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus

Titel: Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Heim
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einen Brief, dass es benachrichtigt sei, meinen Pass zu visieren, ich solle ihn vorlegen, nebst ärztlichem Attest, Führungsschein und Bildern. Ich las das wie aus einer anderen Welt! Dieser liebenswürdige Stil, diese mir völlig fremd gewordene Form, mein Gott, wo gibt es denn noch so etwas!?
    »Nous avons le plaisir de vous aviser que nous avons recu l’autorisation de viser votre passeport. En conséquence vous devez vous présenter a notre Consulat ouvert tous le jours de 10 M. le midi et sur rendez vous, avec les documents suivants 1) votre passeport (ja Kuchen!), 2) un certificat médical en double exemplaire, 3) un certificat de bonne mœurs, en double exemplaire, 4) deux photographies. Veuillez nous faire savoir si vous pourrez vous présenter personnellement et nous aviser du jour de votre visite. (Lieber, guter Gott, wie gerne!) Dans l’attente de vous lire à ce sujet nous vous présentons? Madame, nos salutations distinguées. Gez. Consul.«
    Zu mir, Sara Winter, spricht man in solchem Ton, nee, gibt’s ja gar nicht mehr, muss wohl ein schöner Traum gewesen sein?
    Wirklich ist es nämlich so. Auf dem hiesigen Kubanischen Konsulat wird man von einem Mann mit Judenstern auf dem Korridor, drei Treppen hoch (wahrscheinlich die Portierwohnung) empfangen, kurz abgefertigt, um nicht zu sagen, schnell rausgeschmissen! »Sie kriegen keinen Pass, also aussichtslos, müssen warten, bis Sie Bescheid kriegen!« Kommentar überflüssig.
    Man zieht ab wie ein Schwerverbrecher, tritt seinen ach so schweren Heimweg an, indem man, wenn man Glück hat, nach einer halben Stunde Wartezeit an der Haltestelle in dem selten kommenden, immer überfüllten Wagen mitgenommen wird, aber stehen muss aus bestimmten Gründen, sobald andere sitzen wollen. Na ja, Tränen müssen auf Schritt und Tritt unterdrückt werden, man erstickt beinahe daran. Ich bin in letzter Zeit besonders sensibel, wohl weil ich fertig bin mit dem Gebrauch meiner bewährten Ellenbogen – abgewirtschaftet.
    Lebe wohl, mein Geliebtes, heute, Sonntag, trage ich den Brief zur Hauptpost Uhland, und von oben fahre ich mal schnell zu Baums. Für Dienstag habe ich übrigens eine Einladung zum Hilfsverein. Da werde ich den Genfer Brief zeigen und hören, ob sie mir helfen können. Viele Juden sagen neuerdings, es gäbe eine Auswanderung durch die Schweiz, lauter Wunschträume! Sollte mir das Glück beschieden sein, mit meiner letzten Kraft und einer Handtasche rauszukommen, alles, alles bleibt zurück, dann will ich nur noch ein paar ruhige Jahre mit Dir, weiter nichts mehr, ausruhen dürfen von all dem Leid und Kummer.

    Deine arme Mutti

    Berlin, den 3.

Dezember 1941
    Mein Geliebtes,

    ich schreibe andauernd. Du musst jetzt vom 17.

Nov. den Brief Nr.

7, sowie Karten vom 18. und 21.

November haben? Außerdem ist am 24.

November Brief Nr.

8, Karte am 26.

Nov. und Brief Nr.

9 vom 30.

Nov. unterwegs. Bitte kontrolliere das genau, ob Du alles erhalten hast, ich habe meine Gründe dafür. Von Dir hatte ich die letzte Nachricht als Karte vom 23.

Nov. aus Zürich. Was ist nun inzwischen los, nachdem alles so weit ist? Kannst Du dort eine Einreiseerlaubnis für mich kriegen, fragte mich heute der Berater auf dem Hilfsverein. Selbst wenn ja, erhalte ich hier keine Ausreise nach dort, behauptet er fest und steif.
    Also kann man dabei nicht langsam, aber sicher verrückt werden? Meine heutige Anwesenheit beim Hilfsverein war zum Zweck der Passage-Registrierung bis zum Hafen, zur Vorsorge, falls Pässe ausgegeben werden sollten. Keiner weiß nach wie vor, ob und wann.
    Viele Leute waren da, die ebenso weit sind wie ich; man glaubt, sich dadurch, dass man mit dort in Verbindung bleibt, seine Hoffnung zur Rettung zu erhalten. Jeder zieht aber nach stundenlangem Warten genauso ratlos, wie er gekommen ist, wieder ab. Drei Stunden saß ich da wieder im ungeheizten Zimmer (keine Kohlen). Warten, warten, worauf? Und der Freund von Edgar ist doch schließlich eine Persönlichkeit von Einfluss.
    Du wolltest mir doch Näheres über Deine traurige Unterhaltung mit Hiro erzählen, warum kann denn bloß eine Verbindung nicht sein, es dürfte doch, wenn er wirklich und aufrichtig will, keinen stichhaltigen Grund geben? Ist denn da das Hindernis in keiner Form zu beseitigen? Ich meine, gerade in heutiger Zeit schreitet man über das normale Maß in vieler Beziehung skrupellos hinweg. So sitzt man nun, Du dort, ich hier, herum und vertut [die Zeit]

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