Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus
einmal Erfreuliches in meinem armen Leben voller Enttäuschungen.
Mir sehnsuchtsvollen innigsten Küssen,
Deine arme Mutti
Berlin, den 24.
Dezember 1941
Mein Einziges, Geliebtes,
gerade als ich bei der Beantwortung Deiner eben erhaltenen Postkarte vom 15. des Monats bin, kommen zwei Einschreibebriefe, einer von Dir mit dem süßen Foto im Etui. Leder, richtiges Leder, und so geschmackvoll! Es erinnert mich an Frieden und gute Zeiten.
Ich sehe es an mir, die ich 15 Kilo in kurzer Zeit verloren habe. Körperlich schadet es mir nichts, im Gegenteil, aber seelisch ist es schlimm. Trotzdem, ich lebe noch, kann mich waschen und sauber halten, liege noch auf meinen respektive auf Deinen 1a Mädchenzeitauflagen unter Daunen.
Jetzt auch noch Geld, mehr, als ich ausgeben kann. Nur die entsetzliche Ungewissheit der Familienereignisse, die ja heute den und morgen den treffen, und was dann – nein, daran darf ich nicht denken und will ich auch nicht.
Du weißt doch, dass die Familie überhaupt nicht innerhalb reisen darf. Wenn das sein soll, nur mit dringlicher, wahrscheinlich nicht erteilter Erlaubnis. Deine Eingabe wird leider nichts nützen, selbst wenn Du sie bewilligt erhältst, da hier keine [Möglichkeit] ist, das ist doch die unüberwindliche Schwierigkeit! Könnte vielleicht jemand von dort versuchen, die hier maßgebliche Stelle darum zu bitten, sozusagen als Gnadengesuch?
Für alle Fälle ist es gut, dass Fredi so anständig von Dir beschenkt wurde. Schlimm, dass der Arme nervlich so herunter ist, aber man kann so werden, und Glück hat er ja leider mit Deiner Bekanntschaft nicht gehabt, bitter, dass es auch für Dich ein verfehltes Leben war. Gott gebe mir, dass Du noch rechtzeitig entschädigt wirst und Dir das endlich erfüllt wird, was Du ersehnst.
Ich freue mich, dass H. kommt oder – wenn dieser Brief eintrifft – schon da war. Vielleicht hast Du ein paar schöne Tage gehabt und vor allem Erholung und Erfrischung.
Ich hatte eben die Bescherung für meine außerordentlich anständigen Nachbarn gemacht. Sie konnten auch zufrieden sein, weil sie es verdienen. Alles Hübsche aus meinem Bestand, geschmackvoll und wertvoll wie alles, was ich hatte. Ich kriegte drei 1a Calville-Äpfel und vier frisch gelegte Eier aus dem Hühnerhof im Garten.
Jetzt noch rasch zur Post, es läuten schon die Glocken, mögen sie doch auch uns noch mal Friede und Ruhe bringen.
Bleibe mir gesund und verlebe geruhsame, glückliche Tage in angenehmer Gesellschaft, ich bin morgen zum Kaffee bei einer Dame meiner Bekanntschaft und übermorgen bei Baums.
Mit innigsten sehnsüchtigen Küssen,
Deine Mutti
Berlin, den 31.
Dezember 1941
Mein Geliebtes,
herzlichen Dank für Deinen Glückwunsch. Gleichzeitig damit erhielt ich eine sehr unangenehme Nachricht durch Wohnungskündigung, die zwar allgemein fortschreitet, es kommt eben jeder ran. Am 3.
Januar bin ich zur Aufnahme der Personalien hinbestellt und werde dazu mein ärztliches Attest mitbringen von meinem mich behandelnden Arzt, dass ich an Gefäßkrämpfen und Kreislaufstörungen leide. Vielleicht kriege ich durch Krankheit noch eine Frist. Ach Gott, in meinem vorigen Brief hatte ich noch so manches für ein gutes Omen gehalten, wie ich Dir schrieb, und heute kommt der fast zerschmetternde Mistbrief. Aber noch halte ich die Felle nicht für weggeschwommen. Man sagt, Du solltest doch persönlich nach Bern betreffend des Gesuches fahren, besonders wo es jetzt so sehr eilig ist. Wenn Du Erfolg hast, ginge ich dadurch aufs hiesige Konsulat, was ich sowieso am 2.
Januar tun will, um zu hören, ob ich dann einen Sichtvermerk von hier kriege, wenn die Schweiz die Einreise genehmigen sollte. Für alle Fälle muss Victoria [Ilses zweiter Vorname, hier als Deckname verwendet] vorbereitet sein, Mieze [Maries Kosename] in Freiburg oder wo sie es einrichten will, in Empfang zu nehmen, denn möglich, dass sie sich schnell dazu entschließt, wenn ihr nichts anderes übrig bleibt, da sie jetzt krank ist und Erholung braucht.
Victoria soll ihre definitiven Dispositionen mitteilen, damit Mieze weiß, wo sie sie sehen kann. Fahrverbindungen sind heute nicht so einfach, also muss man sich genau darüber klar sein.
Sage also Victoria, sie möchte sofort schreiben, wie sie sich das eingerichtet hat. Wie mir ist, mein Geliebtes, kannst Du Dir ja denken. Hoffen wir aber immer noch, solange man hoffen kann.
Sonst genug für heute, ich meine, es ist viel genug! Es könnte
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