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Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus

Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus

Titel: Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Heim
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endlich genug sein.
    Mit herzhaften Küssen mit einem inbrünstigem Gebet, mir ein glückliches Neujahr zu senden,

    Deine unglückliche Mutti

    Am 25.

Dezember reist Hiroshi Kitamura von Rom nach Bern. Am 29. steigt er im vornehmen Drei Könige in Basel ab – so steht es im Meldeblatt des Hotels vermerkt. Das Visum ist einen Monat lang gültig. Seinem Besuch geht ein Brief voraus:

    Eine merkwürdige Mischung der Gefühle erfüllt mich. Im Grunde freue ich mich wahnsinnig. Die Gedanken fliegen bereits weit nach Basel, zu den Abenden von der Hardstrasse. Aber es haftet mir doch ein leises Angstgefühl an. Am liebsten würde ich mich darüber hinwegsetzen; aber der letzte Mittag an dem Sonntag hinterließ mir seinen gewaltigen Eindruck. Nur meine Ohnmacht gegenüber der Situation beraubt mich ganzer Sicherheit!
    Willst Du mir schreiben, ob ich mein Angstgefühl ganz beiseite lassen kann? Wenn Du nicht stark bist, so bin ich gezwungen, stark zu sein.
    In diesem Fall liegt die Konsequenz in der Linie, die Du bei unserer letzten Zusammenkunft befürchtet hast. Auf frohes Wiedersehen, viel liebe, liebe Gedanken nimm für heute

    von Deinem Hiro
    Das Band zwischen dem »Samurai« und der »kessen Berlinerin« ist nicht zerrissen. Die Trennung hat Vorfreude genährt, doch Hiroshis Ängste sind nicht überwunden. Ilse wird ihn sehr umarmt haben. Am 31.

Dezember reisen sie per Bahn nach Bern. Sie hat ihren großen Koffer gepackt; die beiden haben Programm: Silvesterfeier im Hotel Schweizerhof , am 1.

Januar mittags Neujahresempfang für die Botschaften und Legationen, wo Ilse dem Gesandten Kubas, Dr. José de la Luz León, vorgestellt wird. Am Nachmittag Weiterfahrt nach Wengen im Berner Oberland. Dort, am Fuß von Eiger und Jungfrau, kann Ilse auf der gegenüberliegenden Talseite das Dorf Mürren im Abendlicht sehen, wo ihre »Sommerfreundin« Charlotte einige Winter lang lebte und Ilse im August 1937 letzte gemeinsame Tage mit Marie verbracht hat.
    Ilses erster Eintrag im Notizbuch des Jahres 1942: »Diner, H. all night .«

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    »An diese unsere Korrespondenzen werden wir denken, solange wir leben.«
    MARIE AM 7.

DEZEMBER 1941
    Das Jahr 1942 in Ilses Briefkasten eröffnet mit einer Neujahrskarte, Absender ist Edgar Salin, Hotel Palazzo Josty , Madulain: »Wünsche, dass im neuen Jahr gut Begonnenes guten Abschluss finde. Unter Engadiner Sonne – bei wenig Schnee, herzlich gedenkend ES«.
    Durchaus doppelsinnig der Mann; in Ilses Leben ist zu Beginn des neuen Jahres viel »Begonnenes«, kaum Abgeschlossenes: die Hilfeschreie der ertrinkenden Mutter, ihre Liebesflucht zu Hiroshi, die währende Hinwendung zu Salin, das nie aufgelöste Verhältnis mit Fred Heim, die Langsamkeit ihrer Dissertation, das nicht gesicherte Bleiberecht. Das neue Jahr, ihr dreißigstes, kündigt sich fragwürdig an: viel Unordnung, beträchtlicher Seelenschlamassel und Überforderung. Manches übersteigt die eigenen Kräfte. Ihr Leben zeigt sich vage, das Temperament schlägt Kapriolen, Pläne bleiben Ideen, das Begonnene bleibt am Beginn, und Unverhofftes schlägt den Takt. Um leben zu können, muss Ilse wunschlose Tage und Nächte für sich erfinden. »Weiße Zeiten«, in denen die Mutter nichts zu suchen hat, in denen sie nicht zu hören ist, in denen Marie nicht im Wachtraum am Bettende steht und an der Decke zerrt.
    Genau das erlebt Ilse eine Woche lang mit Hiroshi im Berner Oberland, im tief verschneiten Wengen, auf langen Spaziergängen durch die Nadelwälder hinauf zu den verlassenen Almen und während langer Skiabfahrten hinab nach Grindelwald. Am Samstag, den 3.

Januar lädt Hiroshi zum Diner im Grandhotel Bellevue des Alpes auf der über 2000 Meter hoch gelegenen Kleinen Scheidegg. Es herrscht vollkommene Ruhe auf den vom Mondlicht glitzernden Schneehängen. Steil ragt die schroffe Nordwand hoch, die Wetterwarte auf dem Jungfraujoch sendet ein kleines Licht, kaum zu unterscheiden vom Firmament. Im Bahnhof der Jungfraubahn leuchten in der Dunkelheit nur die kleinen Fenster des Vorstehers, weit unten im Tal blinken Dörfer. Endlich – die taumelnde Welt ist abgeschieden. Ein Tisch am Fenster, Hiroshi spendiert Champagner, Moët

&

Chandon. Am nächsten Morgen notiert Ilse in ihr Notizbuch: » very happy « .
    Zwei Tage später Rückfahrt über Zürich nach Basel. Am 7.

Januar erkundigt sich Ilse bei Fritz Jenny nach dem Stand der Bewilligung für Marie. Noch keine Nachrichten aus Bern, es kann dauern. Am

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