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Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus

Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus

Titel: Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Heim
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nicht alt bei Gsellius, sind bestellt, und man gibt Bescheid, auch Gedichte von Stefan George. Sonst heute nichts weiter, mein liebes Kind, mein Herz ist angefüllt mit Zentnerlasten, von denen ich endlich bald befreit sein muss.
    Hoffentlich ist morgen früh Nachricht von Dir da. Nachmittag (Sonntag) bringe ich dies zur Hauptpost Uhlandstr. und fahre von dort zu Hellers nach dem Lietzensee zum Kaffee, Unterhaltungen erfrischen einen zwar heute nicht, im Gegenteil, sie werden erschüttert sein von meiner Neuigkeit.

    Bleibe gesund und erfolgreich und empfange innigste herzhafte Küsse
von Deiner Mutti

    Berlin, den 8.

Januar 1942
    Meine geliebte Ille,

    ich bin verzweifelt, weil ich keine Nachricht von Dir habe. Es ist so viel Post von mir unterwegs, und nichts höre ich darauf von Dir. Meine Nervosität steigert sich täglich mehr. Du bist gewiss verreist, kannst Dich deshalb auch um meine Not nicht kümmern; MIT HIRO IN DEN BERGEN. Ich allein kann mir nicht helfen und muss mein Schicksal mit Bangigkeit und Herzweh abwarten. Das Gesuch habe ich abgegeben auf der Schweizer Visaabteilung, deren Genehmigung ist aber leider absolut gleich null, kann nur nützen, wenn der Krieg zu Ende ist, denn vor dem gibt es keinen Pass. Dasselbe sagte mir auch mein Anwalt Dr.

Fuchs. Es wird nun wirklich Zeit, entsprechend von Victoria zu hören: Wie? Wann? Wo? Ach, Gott, was soll ich noch viel schreiben, ich habe bald genug davon und bin erschöpft im Handeln und Denken.

    Herzliche Grüße und sehnsuchtsvolle innige Küsse,
Deine Mutti
    Ilse scheint unfähig, sich der Mutter in Not zu stellen. Sie kann auch deshalb nicht klar denken, weil ihre Männer sich streiten. Zwischen Edgar Salin und seinem Zögling Hiroshi kommt es am 12.

Januar zu einer handfesten Auseinandersetzung. Salin will nach seiner Rückkehr aus den Ferien hören, wie es um Hiroshis Heiratspläne steht. Kitamura laviert, vertröstet den Lehrer auf später. Er ist sich der Sache nicht sicher, obwohl Ilse ihn liebt und sich im honeymoon wähnt.
    Salin reagiert ungehalten, der Professor kann nicht verstehen, was den Jüngeren hindert. Der Streit wird lauter, vielleicht mischen sich noch Ideologie und Patriotismus dazu. Ein Wort gibt das andere. Hiroshi reist zurück nach Zürich, Ilse notiert »Trauer« in ihr Notizbüchlein.
    Den ganzen Januar über geht es emotional hoch her. Ilses Monat gleicht einer Achterbahn mit Verabredungen; »Edgar und Genji« oder »Telefon Genji« oder »abends Edgar«. Diskussionen, Aussprachen, Abschiede und noch einmal Versöhnungen: »Genji – midnight souper – Wiegenlied«.
    Kaum Universitätsbetrieb außer zwei Seminarabende bei Walter Muschg, ihrem Professor für Germanistik und einflussreichen Abgeordneten im Parlament, Treffen mit Oertl zur Endfertigung der Dissertation, Mittagstische für den immer hungrigen Fritz Belleville. Es ist viel los in diesem Monat: weitere Verabredungen mit Namen, denen ich nicht nachgehe; zu konfus, zu viele, zu hektisch – Ilse betäubt ihre Zeit.

    Berlin, den 11.

Januar 1942
    Liebste Ille,

    ich bin einfach erschlagen über Deine heutige »verstörte« Karte, aber ganz so habe ich es geahnt! Oh weh, wie bist Du wieder durch Hiros Besuch geistesabwesend gewesen! Bist mit ihm losgegondelt, ohne die Konsequenzen zu übersehen. Und ich sitze hier zwölf Tage ohne Antwort und Nachricht auf meine Post und sterbe täglich mehr ab aus Angst, ohne Hilfe und Rettung, ist es ja doch nur eine Galgenfrist. Kann sein, dass Baums heute abgeholt werden, ich gehe mit Zittern und Zagen nachher hin, denn sie sagten mir das vor ein paar Tagen, dass sie damit rechnen. […]
    Jedenfalls bin ich bald mit Hoffnungen am toten Punkt angelangt und werde aushalten müssen, so weit meine Kräfte reichen. Was soll ich tun? Habe nicht einmal die Gewissheit, dass es Dir erträglich gehen wird nach den Stückerln, die Du Dir andauernd leistest. Also, lass von Dir hören, solange es noch möglich ist.

    Mit innigsten Küssen,
Deine unglückliche Mutti
    »Die ersten Monate des neuen Jahres waren von der Angst um das Schicksal jüdischer Freunde beherrscht«, erinnert sich Marianne von Heereman an das Leben im Fälkli. Dieser Satz ist für mich Hinweis, dass im Verborgenen die Reise der FreundinnenGertrud Kantorowicz, ihrer betagten Tante Clara und von Paula Hammerschlag, Schwester der Dichterin Margarete Susman, die in Zürich lebt, vorbereitet wird. Das Netzwerk der George-Frauen und -Männer spinnt die Reiseroute,

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