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Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus

Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus

Titel: Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Heim
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besorgt Ausweise und verständigt die Freunde an der Strecke. Bendix, den Artur Sommer den »Jedermann-Helfer« nennt, wird losgeschickt, um das Terrain im grenznahen Vorarlberg zu sondieren, und nach seiner Rückkehr wird damit begonnen, auf dem Dachboden von Sommers Wohnhaus in der Lützowstraße ein Refugium herzurichten, das den Frauen ab Februar Unterschlupf gewähren könnte.
    Artur Sommer schreibt 1964 in seinen Erinnerungen:

    »Ich wohnte Ecke Lützow-/

Potsdamer Straße hoch oben in einem früheren Gymnasium völlig sicher, nur Büros und oben mit Nachbarhaus 18 Ateliers im Besitz der Allianz Versicherung. Über einer Kammer meines Ateliers war ein Ausgang zu ganzen Zügen von Dächern, [ein Verschlag] von Bendix versteckt und bequem hergerichtet.«
    Ab 1942 gibt es für die in Berlin lebenden Juden kaum noch ein Entkommen aus eigener Kraft. Ihnen wird in großem Stil die Wohnung gekündigt, dann werden sie zur Registrierung in die Oranienburger Straße einbestellt, und ist auch das erledigt, sind es bis zum »Reisetermin« meist nur noch wenige Wochen. Auch das Leben auf der Straße ist gefährlich. »Sternträger« werden wegen Nichtigkeiten verhaftet und drangsaliert.
    Marie wurde schon gekündigt, viel Zeit bleibt nicht mehr, das ihr zugedachte Schicksal abzuwenden.

    Berlin, den 15.

Januar 1942
    Ille, meine Geliebte,

    es sieht inzwischen bitterböse mit mir aus. Ich bin registriert, und es wird mir nicht anders gehen als meinen anderen Unglücklichen. Vielleicht werde ich durch mein Attest noch etwas zurückgestellt werden, das warte ich noch mit Bangigkeit ab. Ich bin kein Mensch mehr und möchte mich mit meiner letzten Kraft trotzdem zusammenreißen, das Schwere zu tragen versuchen. Gott gebe mir die Kraft dazu, denn sonst kann mir ja keiner mehr helfen. Also, mein Geliebtes, sei auch Du ruhig und vertraue auf Gott! Nur bitte ich Dich, bleibe nach wie vor, wo Du bist, und lass Dich nicht gelüsten, zu Hiro zu fahren.
    Meine geliebte Schweiz lass auch Deine Heimat werden, von der ich denke, dass wir dadurch Kontakt behalten können. Herr Lieutenant wird Dir meine Abreise drahten, ich weiß ja nicht, wann. Vorbereitet muss ich sein und weiß nicht, woran ich in meiner Not zuerst denken soll.
    Hartes ist mir auferlegt, aber vielleicht habe ich, wie gesagt, Kraft dazu und es folgt mal noch ein Sonnenstrahl in die schöne Welt, die so viel Platz hat auch momentan für mich. Also, mein Einziges, nimm es ruhig auf, aber lebe besonnen und mit Vernunft und bleibe bei Fredi, sonst wird es schlimm für Dich.

    Mit herzinnigsten Küssen,
Deine Mutti
    Von nun an verwendet Marie immer öfter Decknamen und verdeckte Begriffe in ihren Briefen. Sie selbst setzt sich als »Mieze« in die dritte Person, die Flucht aus Berlin nennt sie Hochzeitsreise, die drohende Deportation ist ihre Krankheit und das Versteck ein Sanatorium. Sie muss sich hüten, denn sie hat Mitleserinnen bei der Briefzensur der Wehrmacht im Kaisersaal beim Bahnhof Zoo. Ganz am Schluss verwendet sie sogar Deckadressen.

    Berlin, den 19.

Januar 1942
    Mein Einziges,

    Dein heutiger Brief! Ich sitze davor! Will antworten, mit Dir reden, Dich trösten! Ich habe momentan nicht mehr die Kraft, Dir alles das zu sagen, was ich länger als seit zehn Jahren zu Dir rede in Deinem Abenteuerleben. Heute in dem Brief bestätigst Du mir alles das, was ich bitter auch längst weiß und fühle. Und jetzt muss ich das von Dir hören, wo ich gar nicht mehr auf dieser Welt bin, ein lebender Leichnam nur noch! Wo ich, wie ich Dir schon schrieb, registriert zum Abschub bin; vielleicht in zwei Wochen kann ich der Nummer nach dran sein. Oh Gott! Du sagst, Du bist ein Strohhalm im Winde!
    Dein Lächeln auf dem Foto zeigt mir immer nur eine Bajazzofratze.
    Deine arme Mutter hat Dich immer mit richtigen Augen gesehen, mit weinenden Augen, dass ich nicht bei Dir sein konnte, Dich zu schützen und zu behüten. Heute, wo ich selbst am Ende mit mir bin, [höre] ich meine mich seit Jahren bedrückenden Gefühle und Empfindungen über Dein verpfuschtes Leben aus Deinem Munde. Nichts ist mir neu und unbekannt in Deinem heutigen Bekenntnis. Du wirst ja inzwischen von mir die Warnung haben, nicht noch mehr Unüberlegtheiten zu machen und etwa mit Hiro zu gehen! Ich bat Dich mit letzter Kraft, bei Fredi zu bleiben, denn nur er schützt Dich vor Deinem Untergang! Und die Gewissheit, dass wenigstens Du Dein junges Leben noch retten kannst, möchte ich auf meinem harten Weg

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