Ich will meinen Mord
falsch sortiert, und natürlich ist es mein Vater, der sich zwar von meiner Mutter die Schuhe aussuchen läßt, aber als fortgeschrittener Antikommunist gegen jegliche staatliche Gängelung protestiert, indem er Flaschen in den Papiercontainer wirft und Zeitungen in den Haushaltsmüll; aber angetautes Frikassee soll man nicht wieder einfrieren, also wird mein Vater die Zähne zusammenbeißen und Unschuld und Weinkennerschaft heucheln, wenn die Nachbarn das Etikett auf der Weinflasche auswendig lernen, als ginge es um die Scheurebe, und in Wirklichkeit wollen sie sich nur die Flasche merken, falls sie morgen in der verkehrten Tonne liegt, und dann haben sie ihn überführt, wenngleich sie ihm nicht auf der Stelle den Prozeß machen können, weil sie gerade erst gestern zum Frikassee eingeladen waren. Er wird ausnahmsweise zur Irreführung der Nachbarn die Scheurebenflasche in den Flaschenmüll tun und sich bei meiner Mutter nicht beklagen, wenn sie weg sind, weil meine Mutter nicht ahnen soll, daß sie mit einem aktiven Müllsünder und Einzeltäter das Leben teilt, und sie ahnt auch nichts von seinen heimlichen Freiheitsideen – wenn sie nicht mit im Auto sitzt, fährt er leicht hundertachtzig.
Von Dijon aus anrufen und die Stillegung des Bahnverkehrs melden, auch dem Verleger natürlich, der ganz vergessen hat, daß wir morgen am Winterfeldtplatz ägyptische Bohnen essen, weil er unangenehme Termine am liebsten vergißt, ich höre, wie er aufatmet, sobald er den Hörer aufgelegt hat. Es hat keinen Sinn, dem Verleger im jetzigen Stadium schon von dem Mord zu sprechen. Er wird sich noch früh genug freuen.
Meine Eltern brauchen weder vorher noch nachher davon zu wissen, sie würden sich nur erschrecken. Da wir die Sache mit Bedacht angehen und von Thionville aus planen, werden wir keine Spuren hinterlassen. Niemand kommt darauf, daß wir in Thionville sind, da bekanntlich Viszmans Fahrkarte erster Klasse nach Besançon ausgestellt ist, meine nach Metz zweiter Klasse, der Schaffner erinnert sich an gar nichts, und die Überprüfung der SNCF -Buchungen durch den KGB und den CIA entfällt, weil wir nicht so dumm sind, einen Eisenbahnmord zu begehen und uns erwischen zu lassen.
I n einigen Minuten erreichen wir Dijon-Ville, Sie haben Anschluß nach. Die Inspektoren steigen aus. Der Zug hat Aufenthalt, der Weltuntergangsregen nieselt nur noch, das Militär in Gestalt zweier junger Soldaten kümmert sich nicht um die Obdachlosen, sondern albert an der Bahnsteigkante herum, weil es ab heute abend wieder in der Kaserne ist und dort nicht herumalbern darf: ein Keksautomat, ein Getränkeautomat, die vorläufige Befriedigung der menschlichen Grundbedürfnisse bis Metz ist sichergestellt, die Inspektoren und ihre Familienangehörigen sind auf der Rolltreppe verschwunden.
Viszman telefoniert. Natürlich telefoniert er nach Besançon, daß man ihn nicht erwarten soll heute abend, die Fahrpläne sind zusammengebrochen, das Paradies findet statt, Diderot hat zu Unrecht an der Wiederherstellung des Naturzustandes gezweifelt, der Naturzustand wird wiederhergestellt, auch wenn das in Besançon, dieser Uhrenstadt, diesem Zentrum der Zeit, niemand glauben will, natürlich versteht man in einer Stadt wie Besançon nicht, daß die Zeit abgeschafft werden muß, um schön zu sein, in Besançon wird das Unheil hergestellt, die Stadt bereichert sich an der Produktion europäischen Unheils, es ist siebzehn Minuten nach zwei, ich würde auch gerne telefonieren, aber es gibt nur die eine Telefonzelle, in der Viszman mit Besançon verhandelt, ich bleibe diskret außer Hörweite, obwohl ich den polnischen Klang gern hören würde in seiner Stimme, ein ganz leiser polnischer Ton in einem ansonsten fließenden Französisch, das natürlich nicht überfließt wegen des gelebten Lebens, dessen Geheimnis ein denkender Mensch klugerweise bei sich behält, anstatt es herauszutrompeten, Geschwätzigkeit liegt Viszman fern, wie er in der nieseligen Telefonnische steht und sich jetzt eine Zigarette anzündet, den Hörer zwischen Ohr und Schulter geklemmt, Besançon scheint Schwierigkeiten zu machen, wogegen man als lebenserfahrener Mann am besten stillschweigend anraucht, eine Uhrenstadt sieht es begreiflicherweise nicht gern, wenn die Zeit abgeschafft wird, unterdessen warte ich in angemessenem Diskretionsabstand, Viszman wirft mir Blicke zu und gelegentlich einen Satz in den Hörer, jeder Satz wird offenbar mit einer Gegenrede bedacht und beantwortet,
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