Ich will meinen Mord
Besançon vermute ich Telefonterror; beim ersten Klingeln hat Viszman wie nebenbei den Anrufbeantworter abgestellt, der im übrigen hektisch Alarm geblinkt hat, als wir hereinkamen; während Viszman auf der Tagung der Diderot-Gesellschaft in Avignon war, scheint hier eine fernkommunikative Belagerung stattgefunden zu haben, regelrecht eine Invasion, die er indes übersieht, wir haben Wichtiges vor.
Die Wohnung ist nicht das Problem, aber warum das Paradies ausgerechnet in Thionville ausgerufen werden soll, will mir nicht einleuchten.
Thionville nämlich: eine Stadt, um sich schon vorher, schon auf der Autobahn zu verfahren und in die Hölle eines Freizeitparadieses zu geraten, spätestens an einem der Endloskreisel die Abfahrt zu verpassen, dann: im Grau eine Samstagnachmittagsleere, die Straßen leer, die Gehsteige leer, Pfützen, ein Stadtbeleuchtungsfehler: alles grau; dazu alles geschlossen, irgendwo muß eine Kirche sein, weil es über die Stadt einmal wegläutet, hoffnungslos leeres Läuten, ein paar Sportplätze mit ausgestorbenen Fußballtoren, wie soll man jetzt diese Straße finden, die einzige Bewohnerin von Thionville will weitergehen und nicht angehalten werden mit ihrem regendurchweichten Baguette unterm Arm, man muß am Straßenrand halten, aus dem Auto springen und ihr hinterher, damit sie nicht denkt, man fährt Schrittempo neben ihr, weil sie entführt werden soll, eine Rettung wäre es, wenn man sie entführte, aber sie will nicht entführt werden, sondern in dieser Geisterstadt bleiben, sie will vor allem keine Auskunft geben über diese unbekannte, auch ihr unbekannte Straße; als man sie schließlich einholt, ist bei dem Sprung aus dem Auto die Landkarte auf die nasse Straße gefallen, die Landkarte, nach der man Thionville besser hätte verfehlen sollen, die Frau ist gegebenenfalls bereit, mit einem durchweichten Baguette ihr nacktes Hierbleiben zu verteidigen und zu erzwingen, ihr Oberkörper sowie der Kopf mit dem Kopftuch sind aber für Flucht, sie weigert sich, dieser Stadt ein Stadtzentrum zuzugestehen, in dem eine Straße sein soll, von irgendwoher hat es aber doch eben geläutet; wo eine Kirche ist, ist auch ein Stadtzentrum, aber nein.
Thionville ist genau die Stadt, in die ich schon immer nicht wollte.
Man könnte natürlich zuvor in Metz essen, dann würde es dunkel werden, und im Dunkeln ist von Thionville nichts zu sehen, die Stadt besteht wie alle fremden Städte aus einem Bahnhof und einem Taxi und einer Wohnung oder einem Hotel.
Barbagelata jedenfalls wird heute abend mit einem Immobilienmakler in Avignon essen gehen, zuvor hat er in Martigues angerufen, daß er in der Nacht kommt. Die Kleine entlackt sich die grünen Nägel und nimmt sich vor, demnächst hier endgültig abzuhauen, und Sylvie ist für heute abend sicher vor ihrem Kind.
Viszman möchte keinen Schokoladenkeks.
Ich möchte auch keinen Schokoladenkeks.
Kein Diderot-Kenner möchte Schokoladenkekse. Bekanntlich ist Diderot nicht nur der Inbegriff der Anfänge europäischer Kulturkritik schlechthin, sein Leben und Werk sind auch ein Bekenntnis zur Lebensfreude, die unser Feind heute abend als Menü zu sich nimmt: Hauptgericht Entenbrust, rosa gebraten, in Steinpilzsoße und Châteauneuf-du-Pape; ein paar Flaschen wird er sich nachher von der Wirtin zu einem horrenden Preis einwickeln lassen, weil er nicht weiß, daß die Weinhandlung um die Ecke, keine zweihundert Meter weit, ihn um rund die Hälfte günstiger hat, und zwar bis weit in die Nacht, aber warum soll nicht einmal auch Barbagelata reinfallen und übers Ohr gehauen werden. Ich finde es allerdings etwas verwirrend, daß Barbagelata Entenbrust in Steinpilzsoße bekommt, obwohl er nachweislich niemals ein Wort Diderot gelesen hat, den Namen kennt er natürlich, weil ihm die halbe Rue Diderot gehört, und der Boulevard Victor Hugo noch dazu, er hält die beiden vage für Zeitgenossen und assoziiert sie mit dem Mittelalter, weil die uralten Immobilien dort trotz der gigantischen Quadratmeterpreise auch im Sommer nicht trockenzukriegen sind und muffig riechen, die Mieter kommen ihm mit Drohbriefen und Prozessen, vor allem mit Veröffentlichung, daß also dieser Barbagelata sich einer Entenbrust und Lebensfreude hingibt, während Viszman hungert, weil er zu stolz ist, Schokoladenkekse für Lebensfreude zu halten, das gefällt mir nicht, und das werden wir ihm in Metz mit einem Menü vergelten, Viszman und ich.
Ausgiebig. Angemessen. Und nachher ist es
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