Ich will meinen Mord
womöglich dunkel. Und womöglich fährt dann kein Zug mehr nach Thionville, in diese ausgestorbene Geisterstadt, in die sowieso niemand fahren will. Jedenfalls ich nicht. Den Abendzug nach Thionville verpassen! Keiner besitzt eine Uhr.
Eine so außerordentliche Begegnung wie unsere grenzt an Zufall und ist ein Anlaß, in Metz gehörig zu feiern, Viszman weiß ein Restaurant, ich weiß ein Restaurant, aber als Ausländerin kenne ich mich von vornherein in Metz nicht aus, Viszmans Sichauskennen in Metz hat etwas Rührendes, ein fürsorgliches, ironisches Sichauskennen in Lothringen und in der Welt, mein Restaurant kommt dagegen nicht an und wird still verschwiegen. Der Weg zu Viszmans Restaurant und der zu meinem sind am Anfang recht ähnlich, weil man an der Bahnhofsbaustelle vorbei muß, um in die Innenstadt zu gelangen; zum Glück hat Metz eine Innenstadt mitsamt einer Fußgängerzone. Unser Gepäck liegt friedlich in einem der großen Gepäckschließfächer im Bahnhof beisammen; der Lebensfreude, die unter Schokoladenkeksen meinerseits und keinen Schokoladenkeksen seinerseits zwar nicht ernsthaft gelitten hat, der aber durchaus langsam nachgeholfen werden dürfte, steht nichts im Weg, im Gegenteil, allerlei Restaurants liegen verlockend in der Fußgängerzone von Metz und stellen uns ihre Speisekarten förmlich in den Weg, man muß aufpassen, daß man nicht darüber stolpert; Viszman, der in seiner Freude über unsere Begegnung regelrecht lebhaft geworden ist, spricht lobend von seinem Restaurant, das hier ganz in der Nähe sein muß, meines ist auch hier ganz in der Nähe, im Vorbeigehen erwähne ich es, auch lobend, jedoch vorsichtig, tatsächlich ist es ein ganz scheußliches Restaurant, weiß Viszman, das soll mir recht sein, er soll seines lieber noch nicht so bald finden, zum Glück scheint er nicht oft in Metz zu sein oder vor Freude über unsere Bekanntschaft ein bißchen durcheinandergeraten, sein Restaurant ist jedenfalls nicht zu finden, ersatzweise erzählt mir Viszman die Speisekarte von oben runter, ich sage, das klingt wunderbar, ich nehme das erste. Unsere Stimmung ist bestens, sie wird noch besser, nämlich übermütig und ausgelassen, als wir zum drittenmal an dem Restaurant vorbeikommen, das ich kenne und dessen Speisekarte nun wiederum ich Viszman erzähle, damit wir sie nicht erst lesen müssen, um zu wissen, daß sein Restaurant ein lothringisches Restaurant ist, meines hingegen nur eine Attrappe, die keinerlei Lebensfreude verheißt. Schließlich haben wir Metz in verschiedenen Richtungen kreuz und quer mehrmals durchwandert und beschließen im Sinne der Lebensfreude, eine Denk- und Orientierungspause einzulegen und einen Apéritif. Ich hoffe auf zwei Apéritifs, weil ich überhungert bin und keinen Appetit mehr habe und weil der Zug nach Thionville die Gelegenheit braucht, nachher dann weg zu sein.
Bei Bars muß man nicht so wählerisch sein, man kann die nächstbeste nehmen. Wir nehmen die nächstbeste, und jetzt: jetzt passiert’s.
Ich sage, für mich einen Kir.
Viszman sagt, einen weißen Whisky.
Er sagt es. Ich staune. Aber nur kurz, dann sage ich:
Für mich lieber auch einen weißen Whisky.
Ich habe nicht die geringste Ahnung, ob es weißen Whisky überhaupt gibt, aber mein Verleger behauptet, es gibt weißen Whisky. Zum Beleg sagt er, Sie lesen wohl keine Krimis. Nein. Dann wüßten Sie’s. Der Wirt hier liest auch keine Krimis und meldet Zweifel an, aber Viszman glaubt meinem Verleger und besteht darauf, daß es weißen Whisky gibt. Der Wirt sabotiert freundlich. Ich sage, Sie sollten vielleicht Ihre Frau fragen, aber seine Frau ist vor ein paar Jahren gestorben.
Ich bin sicher, im Keller liegt diese Flasche aus dem Irlandurlaub eines Gastes, aber wenn seine Frau gestorben ist, findet sie natürlich niemand, der Wirt ist seit Jahren nicht mehr im Keller gewesen, weil er oben genug zu tun hat, seit er für zwei arbeitet.
Es bleibt bei Kir.
Draußen langsam Gebirge, der Weltuntergang ist einem blauen Himmel gewichen, eine Herbstsonne über dem nassen, leuchtenden Grün, Viszman liest Diderot, hin und wieder knifft er ein Eselsohr in eine Seite, und nachdem er eine Weile Eselsohren geknifft hat, entschließt er sich, einen Bleistift zur Hilfe zu nehmen. Leser erkennen sich an ihren Angewohnheiten, an den Eselsohren in meinem Bouvard und Pécuchet würde Viszman mich sofort erkennen, aber wir haben alle Zeit der Welt, um uns mit unseren Angewohnheiten kennenzulernen und zu
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