Ich will meinen Mord
doch unmißverständlich, uns noch heute abend im schöneberger Polizeirevier zu stellen. Seine Rechnung ist einfach: ein Schauprozeß, zur Not als Polit-Spektakel getarnt (Leidenschaft wäre ihm lieber, weil er verlegerisch auf Belletristik setzt und nicht auf Sachbücher, was er sich manchmal vorwirft, wenn er bedenkt, daß als Sachbücher im weiteren Sinne auch Kochbücher, Reiseführer, Steuerratgeber gelten), spektakuläre Verurteilung der Einzelkämpfer, sodann: die Angeklagten verschwinden im Knast, wo seine Autorin viel Zeit haben wird, sehr viel Zeit, da eine Begnadigung erst unter dem übernächsten Bundespräsidenten ansteht, im Augenblick wird an anderen Amnestien gestrickt, vorhersehbar wird die augenblickliche Amnestierung noch zwei, drei Jahre benötigen, bis alles vergessen ist und alle Akten im Reißwolf verschwinden, und danach wird es noch einmal etwas dauern, also hat die Autorin Zeit. Als Titel denkt er sich: »Mord für Europa«. Viszman ist ihm egal. Viszman soll sich seinetwegen auf die Schachweltmeisterschaft vorbereiten, dafür hat er dann reichlich Zeit.
Wir haben beide Zeit. Uhrlos, wie wir sind, haben wir alle Zeit der Welt, mit oder ohne Knast.
Ich bin für ohne Knast.
Ein Blick auf Viszman, wie er an der Gangtür sitzt, lesend, als ob ihn seine drohende Verurteilung zu lebenslänglichem Zeithaben nicht bekümmern würde. Ohne weiteres zu einem Eisenbahnmord bereit, um den Naturzustand auf Tahiti wiederherzustellen und das untergegangene Europa rückwirkend doch noch zu retten, einer der wenigen denkenden Menschen zweifellos, aber was dann? Schon immer hat es Intellektuelle wie Viszman hin und wieder zu impulsiven Taten gedrängt, hinaus aus dem Gefängnis der Einsamkeit des denkenden Menschen, diesem Kerker in Freiheit, der Melancholie; jeder denkende Mensch wünscht sich einmal den Ausbruch aus dem Kerker des selbstauferlegten freien Denkens in eine Tat, ein Abschütteln der Melancholie und Müdigkeit um die Augen durch einen Akt zur Beseitigung jeglicher Unfreiheit, Obdachlosigkeit und Naturkatastrophe. Sofort. Ein Mord muß her. Ein Mord an Barbagelata.
So denkt er sich das. Aber selbst wenn die drei Inspektoren vor Gericht tatsächlich schwiegen, woran man zweifeln muß, da sie von den Idealen Rousseaus zur Kaugummikultur der Weltkolonisatoren übergelaufen sind und je eine Dose Coca-Cola besitzen, selbst wenn die drei schwiegen – Viszman ist offenkundig nicht klar, daß man uns so oder so schnappen wird, weil sein Erste-Klasse-Fahrschein nach Besançon und meine Karte bis Metz im internationalen Computernetz der SNCF registriert sind, zu dem jeder Geheimdienst der Welt freien Zugang hat. Sehr häufig nämlich vergißt so ein Intellektueller, wenn er sich Luft machen muß durch eine rettende Tat, daß eine solche Tat Folgen hat, und sosehr ich mit ihm übereinstimme in der Frage der Notwendigkeit, Barbagelata zur Strecke zu bringen, so sehr muß ich davon abraten, uns dabei selbst zu gefährden oder erwischen zu lassen.
Da wir alle Zeit der Welt haben, brauchen wir nichts, aber auch gar nichts zu überstürzen.
In Beaune kommt der Schaffner zum Kontrollieren, und diesmal schaut er sich eingehend meinen Minirock an. Die Inspektorin fragt nach Verspätung. Im Augenblick keine, sagt der Schaffner.
Meinetwegen soll er sich diesen Minirock merken für alle Zeiten, er kann seine Frau als Nonne verkleiden oder ins Badezimmer einschließen, damit niemand ihre schönen Beine zu sehen kriegt, er kann ihr mit seiner Eifersucht Magenprobleme machen und ein Zwölffingerdarmgeschwür, solche Geschwüre kommen keinesfalls, wie er denkt, von dem anderen Essen, das sie ihm neuerdings kocht (einmal der Verdacht, sie hätte ihm etwas ins Essen getan, um ihn loszuwerden, er ißt und ißt und ißt wie verrückt und wird immer dünner davon), diese Geschwüre kommen vom Streß. Es ist nämlich Streß für die schöne Korsin, ein gewisses weißes Stretchkleid, eine winzige weiße Stretchröhre, die kaum bis über den Po reicht, immer genau dann nicht anzuhaben, sondern in Trainingshosen, Kartoffelsäcken oder Bermudas zu stecken, wenn der Mann nach unregelmäßigem Dienstplan unregelmäßig nach Hause kommt. Den Dienstplan gibt er ihr nicht: er möchte sie in flagranti erwischen. Daher der Streß, daher die Magen- und Darmgeschwüre der Korsin, die eines Tages ihrem Mann weglaufen wird, weil er sie fertigmacht mit dem Verdacht, sie hätte es mit dem Filialleiter vom Supermarkt, den sie
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