Ich will meinen Mord
Spiel hat und nur auf eine Veröffentlichung wartet, um sich alsdann die Hände zu reiben und Gewinn zu ziehen, der auf dem Umweg über das wieder gefestigte Ansehen seiner Partei in seine Villa in Martigues fließt anstatt in naturschutzwidrig trockengelegte Sümpfe.
Mit einem Schlag auf den Hinterkopf ist Trotzki getötet worden, fällt mir ein; aber diese Todesart verbietet sich bei Viszman aus einer Reihe von Gründen: Mein Verteidiger muß eine Chance gegen die Presse haben. Die Presse wird sich nicht entgehen lassen, einen Schlag auf den Hinterkopf mit dem sogenannten Exkommunismus des Opfers in Verbindung zu bringen und symbolisch zu deuten, sie wird herausfinden, daß Viszman gebürtiger Pole ist, und anfangen, in polnischen Akten zu blättern. Ich habe keine Ahnung, was sie da findet: in manchen von diesen Akten sollen die ungeheuerlichsten Dinge stehen, in anderen wieder rein gar nichts. Ich kenne Viszman nicht, ich wußte nicht einmal, daß er aus Polen kommt, und ich will ihn um keinen Preis kennenlernen, aber selbst wenn ich ihn kennen würde, wüßte ich nicht, was in den Akten steht. Ich darf die Verteidigungslinie meines Anwalts, der unerschütterlich auf Vergewaltigung zielt, nicht sabotieren, indem ich die Presse auf Akten ansetze, deren Inhalt womöglich so ungeheuerlich ist, daß er die sorgfältig ausgeklügelte Notwehrtheorie hinwegfegt als läppische Camouflage.
Zweitens: wie hat das Gericht sich einen Vergewaltigungsangriff vorzustellen, bei dem das Opfer dem Täter auf den Hinterkopf haut?
Drittens: ich besitze keinen Gegenstand, mit dem ich Viszman durch einen Schlag auf den Hinterkopf töten könnte. Viertens: ich kann kein Blut sehen.
Kleine Mengen schon, aber ab Nasenbluten wird es schwierig. Einen Film über die Ermordung Trotzkis habe ich vor dessen Ermordung verlassen in der Annahme, daß mengenhaft Blut zu sehen sein würde, wissend selbstverständlich, daß dieses Blut kein Blut ist, und insbesondere ohne in meiner Jugend Trotzkistin gewesen zu sein, was ich bereit bin, vor Gericht zu beschwören.
Das Gericht freilich, durch die Presse nervös geworden, will meinen Anti-Trotzki-Schwur gar nicht hören; das Gericht wittert KGB , nachdem der Richter seine Sekretärin extra in die öffentliche Leihbücherei geschickt hat, um den Mord am Feierabend einmal genau nachzulesen, zuerst hat sie drei falsche Bücher gebracht, in denen nur das Todesdatum und Mexiko stand, aber schließlich hat er gefunden, was er sich sowieso dachte: vom KGB , dieser Mercader, dieser Mörder. Vergewaltigung wäre ihm lieber, damit kennt er sich aus, das kommt häufig vor; vorm KGB hat er, ehrlich gesagt, Angst, obwohl der jetzt harmlos sein soll, seit sie sich alle vertragen und jeder mit jedem stundenlang telefoniert am Abend, aber wissen kann man ja nie bei den Russen; wie gesagt, Vergewaltigung wäre ihm lieber, wenn bloß die Medien nicht diesen Rummel machten.
Bei KGB -Verdacht nützt natürlich kein Schwur, das ist klar.
D ie Villa des Monsieur Barbagelata in Martigues: ich erinnere mich nicht an sie. Auch die beiden Schweizerinnen erinnern sich nicht, obwohl sie vor anderthalb Jahren oft an dieser Villa vorbeigekommen sind auf dem Weg zum Wasser, die Kinder mit ihren Schwimmbrettern, Taucherbrillen und Flossen, Eistüten, die Eltern tragen den Rest in den Badetaschen, Sonnencreme nicht vergessen, Familienurlaub, langweilig, aber schön; im nachhinein, weil die Urlaubsgeschichte geschlossen ist: eher schön als langweilig, mit Ausnahme des Tages in Avignon und des Malheurs mit der Brieftasche.
Sie erinnern sich: das Fest zum 14 . Juli, das Feuerwerk abends, eine Paella und wie ihnen die Kleine abhanden gekommen ist, vierjährig damals, die Tochter der Brünetten, einfach weg, genau das, was jede Mutter in jedem Kaufhaus befürchtet, der weltweite Mütteralptraum: Kind weg, in der Menge verschwunden, auf dem Rummelplatz, beim Feuerwerk, bei der Seehundfütterung, im Straßenverkehr, die Kleine hat einfach die Hand losgelassen, da waren ganz viele rote und grüne Wunderkerzen am Himmel; ein Mistral, der aber erst später angefangen hat, das Salz aus dem Meer auf die Straße zu blasen; der salzige Belag auf der Straße ist in der Erinnerung untergegangen zugunsten der Suchgeschichte: Wo ist die Kleine hin. Ein Mutterherz hat sich vor Schreck kalt zusammengezogen, weil Kinder ins Wasser fallen oder von bösen Menschen gefressen werden können, am 14 . Juli immerhin kaum Autos in der Nacht, die aber
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