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Ich will meinen Mord

Ich will meinen Mord

Titel: Ich will meinen Mord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Vanderbeke
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ist völlig klar, wie das endet.
    Er oder ich.
    Es ist ein dummer Reflex, jetzt an meinem Rock zu ziehen, als würde er länger davon. Es ist überhaupt dumm, einen so kurzen Rock anzuziehen auf einer Bahnfahrt, weil man nie weiß, wer einsteigt, wenn einem die eigenen Leute schon auf den ersten Seiten schriftstellerisch entgleiten. Der Rock ist unanständig, und es ist unfaßbar, wie ich darauf gekommen bin, zu dem unanständig kurzen hellen Rock schwarze Strümpfe zu tragen, der Rock wird nicht länger durch Daranziehen, was Viszmans Blick selbstverständlich nicht entgeht: Eine Frau zwischen Dreißig und Vierzig beantwortet seinen männlichen Wir-zwei-allein-im-Abteil-Blick, indem sie ihren Rock über die Knie zu zerren versucht.
    Ich weiß schon, daß das Augenlächeln jetzt auch noch spöttisch wird, weil mein Rock nicht über die Knie geht. Ich muß aufpassen, daß ich mir selbst nicht am Ende noch schriftstellerisch oder sonstwie entgleite.
    Ich hab dich schon, sagt der Blick, aber um keinen Preis will ich ihn sehen, sondern kneife den Mund zusammen, schlage die Beine übereinander und konzentriere mich darauf, blaustrümpfig auszusehen und vor allem nicht rot zu werden. Die Umgebung von Lyon ist nicht so, daß man rot werden muß, wenn man sie durch ein Zugfenster ansieht. Die Bäume haben die Füße im Wasser, links leuchten die Raffinerieanlagen, die Autos fahren mit Standlicht, es ist trüb und neblig.
    Dieser Rock – ich kann nur hoffen, daß der Schaffner seine korsische Frau liebt und infolgedessen den kurzen Rock übersehen hat. Der Rock in seiner schriftlichen Zeugenaussage würde die Vergewaltigungstheorie meines Staranwalts mit einem Knall zum Platzen bringen, weil offensichtlich ein solcher Rock schon an sich eine Aufforderung ist. In Verbindung mit schwarzen Strümpfen kommt dieser Rock einem Delikt nahe, für das gesetzlich einmal ein Straftatbestand eingerichtet werden sollte, wonach männermordende Frauen nicht ohne weiteres frei herumlaufen sollten und öffentliche Züge benutzen. Der Schaffner seinerseits wäre alles andere als einverstanden, wenn seine schöne Frau in so einem Aufzug Eisenbahn führe, überhaupt ist er dagegen, daß seine Frau öffentliche Verkehrsmittel benutzt und allzu frei herumläuft, es hat einmal einen fürchterlichen Krach zwischen ihm und seiner Frau gegeben, als er nach Hause kam und sie mit heruntergerolltem Badeanzug auf dem Balkon erwischte; an sich zwar ist der Balkon von der Straße nicht einzusehen wegen des Oleanders und der Geranien, auch nicht vom Platz mit dem Kriegerdenkmal, an dem die Männer den ganzen Tag herumstehen und warten, ob es was zu sehen gibt; die Frau hat gesagt, was ist schon dabei, und ist auf korsische Weise stur geblieben, daß sie keine weißen Streifen auf den Schultern wollte, und schließlich ist er zum Baumarkt gefahren, hat drei Rollen Bastmatten gekauft und wortlos innen an den Balkonstäben festgemacht im vierten Stock. Manchmal hat er Blutdruck über 200 .
    Ich bin sicher: Er wird es sich nicht entgehen lassen, den Minirock in die Zeugenaussage zu nehmen, ihn gegebenenfalls auch zu beschwören.
    Mein Verteidiger wird verwirrt sein, wenn er die schriftliche Aussage erhält. Sie machen mir Kummer, wird er sagen, als wäre er mein Verleger; zum Zeichen seiner Bekümmertheit wird er sich unter der Brille die Augen reiben, mit Daumen und Zeigefinger die Nasenwurzel einen Moment lang zusammendrücken, weil ihm zu meinem Minirock und den schwarzen Strümpfen nichts mehr einfällt. Die Brille ist neu, eine italienische Marke. Die alte Brille sah doch arg nach Referendariat aus und taugte nicht zum Einsatz vor der Presse und vor Gericht. Seine Strategie ist durch den Schaffner mehr als erschüttert, obwohl ich ihm von Beginn des Verfahrens an immer wieder gesagt habe, daß es nicht Notwehr war, klipp und klar, keine Nötigung, keine Gewalt, keine Vergewaltigung. Mein Anwalt glaubt erst dem Schaffner. Allmählich zieht er die Möglichkeit eines politischen Attentats in Betracht und überlegt, für wen ich gearbeitet haben könnte. KGB wäre ihm nicht recht, andererseits – CIA wäre im Grunde noch schlimmer, Doppelagentin würde am wenigsten Ärger machen, weil die so was telefonisch unter sich aushandeln. Letztens hat er zum x-ten Mal diesen Mata-Hari-Film mit Greta Garbo im Fernsehen gesehen, die allerdings nicht mit Minirock arbeitet. Hat sie gar nicht nötig gehabt.
    Ich könnte mich umziehen. Ich habe einen langen schwarzen Rock

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