Ich will meinen Mord
und ein Paar Bluejeans in der Tasche, aber ich will nicht, daß Viszman denkt, mich hätte der Mut verlassen. Der Mut hat mich nicht verlassen, nur: die vielen Zeugen im Abteil waren nicht vorgesehen. Eine Komplikation, nichts weiter. Schriftstellerisch zu bewältigen.
Der Südtiroler heute abend, wenn die Kinder wieder pünktlich im Bett sind, weil morgen die Schule beginnt, der Südtiroler gießt seiner Frau und sich Dôle ein; sie denkt, es ist, weil sie nach zwei Wochen Ferien wieder daheim ist, aber er sagt: Hör mir zu, Doro. Natürlich hört sie zu, obwohl sie eine Urlaubsgeschichte mit Steinpilzen und ohne baskisches Huhn zu berichten hat. Er klingt rauh in der Stimme, das heißt, es wird ernst. Es klingt nach Aussprache. Du hast es natürlich geahnt, sagt er. Etwas hat sie geahnt, aber Umzugspläne nach Yverdon liegen doch jenseits der Ahnung.
Ich bin froh, daß sie es hinter sich bringen, ohne sich monatelang zu drangsalieren mit Paartherapie, Einzelsitzung und gutem Willen. Doro empfindet als erstes eine gewisse Erlösung. In Pau, an der Steinbrüstung, Heinrich den Vierten im Rücken, Blick über die Berge, hat sie möglicherweise gedacht: 34 , und das geht jetzt immer so weiter, entsetzlich; und etwas hat sie leer angegähnt von vorne, flau. Fluchtgedanken hatte sie keine. Bevor sie ihr Archäologiestudium aufgegeben hat, schien ihr, als könnte sie mindestens drei, vier Leben auf einmal hinkriegen, eins in Ägypten, eins in Karthago, womöglich auch eins in Bern, obwohl Bern das letzte war, woran sie dachte, aber plötzlich stand sie letzte Woche in Pau, der Gedanke an mehrere Leben lag mehrere Jahre zurück, und wenn sie recht überlegte, hatte sie sich nicht einmal ein Leben vorzuweisen, eines, vor dem ihr nicht flau wäre, so flau, daß sie immer häufiger morgens den Fernseher anmacht und sich regelrecht wegträumt nach Kalifornien und Miami Beach, und vielleicht war es in Pau schon Erholung, daß sie es überhaupt denken konnte. Wenn sie es denn gedacht hat, aber wer weiß schon, was jemand denkt, wenn er in Pau auf die Berge schaut.
Jedenfalls: Erlösung ist ein weiches Magenempfinden; aber dann, kurz darauf, wird sie sich sagen: Deshalb also die Pyrenäen; weil es rundheraus schäbig ist, daß sie in die Pyrenäen geschickt wird wegen eines Komplotts mit Organistin. Schäbig und banal. So schäbig und banal, daß sie nächste Woche das Frühstücksfernsehen einmal ausfallen lassen, ihren Fiat nehmen und während der Schulzeit der Kinder nach Yverdon fahren wird, um vor einer Adresse, die sie per Jackett-Durchsuchung aufgetan hat, oder auf dem Parkplatz vor der romanischen Kirche einen gelben VW -Polo mit waadtländer Kennzeichen zu suchen und rasch zu finden, da sie es nämlich kennt, weil ihr Mann mehrmals die Schamlosigkeit hatte, vor dem gemeinsamen Haus in ein solches Fahrzeug einzusteigen; vielmehr vor dem Haus, in dem ihre gemeinsame Eigentumswohnung im zweiten Stock genügend Fenster zur Straße hat, aus denen sich zufällig das Einsteigen ihres Mannes in einen gelben VW -Polo beobachten läßt: die Nummer notiert, weil sie so eine Ahnung hatte, sie könnte sie einmal brauchen. Hinfahren während der Schulzeit, das Auto finden und mindestens beide Hinterreifen aufschlitzen.
Wäre sie in die Alpen gefahren, ans Matterhorn zu dem Pharmavertreter, dann hätte sie demnächst andere Sorgen. Dann wäre sie demnächst in die Waffenexporte eines vorgeblichen konstanzer Pharmavertreters verstrickt, der zwar nur ein Strohmann ist, aber wer sich in einer Villa in Martigues mit einem Monsieur Barbagelata trifft, kann als Strohmann leicht hochgehen. Besonders wenn es Photos gibt. Barbagelata selbst gehört nicht zu den Leuten, die hochgehen, aber die Frau, die blonde da auf dem Photo, die mit der sprichwörtlichen Ehrlichkeit im Gesicht, zur Tarnung eine biedere Freundin dabei, vorgeblich Touristinnen, Ferien in den Pyrenäen, was sucht die in Avignon. Die Dubuffet-Ausstellung, von der sie später erzählen wird, ist längst vorbei, am Nebentisch Monsieur Barbagelata, Berge von Papieren vor sich, im Café auf dem Platz vor dem Papstpalast. Man bedenke auch den Hotelgast von heute früh, der die beiden in seinem Wagen (hellgrauer Volvo?) zum Bahnhof gefahren hat. Und was ist mit diesem Photo: scheinbar heile Urlaubsfamilie, die Blonde spielt die Familienmutter aus Bern mit Badesachen, Taucherzeug, Kindern mit Eis vor einer bestimmten Villa in Martigues mit hellblauen Fensterläden, die zwischen den
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