Ich will vergelten: Thriller (German Edition)
Rucksack. Er fand eine Axt, schlug mit dem Griff gegen das Schloss am Tor, das abfiel und knapp ihren Kopf verfehlte. Sie schalteten ihre Taschenlampen an und wateten in den Stollen hinein, knietief durch eiskaltes Wasser, durch die geringe Deckenhöhe gezwungen, gebückt zu gehen. Alle paar Meter blieben sie stehen, um durchzuatmen.
Daniels rief nach Jessica.
Sie horchten.
Kein Glück.
Und sie drangen tiefer hinein …
Ein paar hundert Meter weiter standen sie vor dem schlimmstmöglichen Szenario: Der Tunnel vor ihnen gabelte sich, und eine Abzweigung sah genauso unheimlich und erschreckend wie die andere aus. Es war nicht der richtige Augenblick, um sich einzugestehen, dass geschlossene Orte ihnen nicht gefielen. Noch weniger gefiel es ihnen, sich zu trennen, aber da es dringend nötig war, Jessica zu finden, ging Cole nach links weiter und Daniels nach rechts.
Daniels hatte sich schon öfter allein in schwierigen Lagen befunden, aber jetzt schienen die Wände des Tunnels sich um sie zu schließen. Angst ergriff sie, eine Klaustrophobie, die so überwältigend war, dass sie hart mit sich kämpfen musste, um weiterzugehen. Sie wäre lieber ein weiteres Mal ihrem Erzfeind, Jonathan Forster, gegenübergetreten, als sich dieser unbekannten, unterirdischen Bedrohung zu stellen.
Geh weiter, du schaffst es.
Es ist nur ein Tunnel!
Wie ihr Vater oder überhaupt irgendjemand es geschafft hatte, unter der Erde zu arbeiten, war ihr unbegreiflich. Sie wünschte, er wäre jetzt hier, um sie zu führen. Er würde sie bei der Hand nehmen – wie er es getan hatte, als sie noch ein kleines Mädchen war – und würde ein Lügenmärchen erzählen über die magische Welt, die sie nun betraten. Es fühlte sich nicht magisch an. Es ähnelte eher der Hölle. Ein Ort des Bösen und des Leidens: verlassen, ganz und gar versteinernd und haarsträubend grausig.
Als die Angst sie einhüllte und ihren Griff festigte, verlor Daniels das Gleichgewicht und fiel der Länge nach in das eiskalte Wasser. Im Fallen riss sie sich die rechte Hand an der Wand auf, wobei sie die Taschenlampe fallen ließ. In blinder Panik kroch sie auf allen vieren herum in dem Versuch, sie wiederzufinden. Dieses eine Mal war das Glück auf ihrer Seite. Obwohl unter Wasser, leuchtete die Taschenlampe noch und war schwer genug, um nicht von der Strömung mitgerissen worden zu sein. Sie schaffte es, danach zu greifen, aber genau in dem Augenblick ging das Licht plötzlich aus.
Das eiskalte Wasser hatte ihr den Atem genommen. Sie hyperventilierte jetzt und saß bis zur Brust im Wasser, in unvorstellbarer Dunkelheit. Jessica Finch war mit Sicherheit tot. Es war unvorstellbar, dass sie hier unten länger als ein paar Tage überlebt hatte.
Als die Panik sich in ihr ausbreitete, krabbelten eine Million Spinnen über Daniels’ Haut. Auch wenn sie nur in ihrer Einbildung existierten, wischte sie sie dennoch weg, als wären sie real, schrie verzweifelt auf und war sich des Schreckens in ihrer Stimme bewusst.
»Stew! Stew!«
Nichts: nur das Plink-Plonk von tropfendem Wasser überall um sie herum.
Daniels schüttelte gewaltsam die Taschenlampe.
Plötzlich ging das Licht wieder an.
Gott, ich danke dir!
Sie bekam wieder Luft.
Frierend und orientierungslos richtete sie den Lichtstrahl erst in eine, dann in die andere Richtung, wieder und wieder. Beide sahen gleich aus.
Mist! War sie auf dem Weg hinein oder hinaus?
»Stewart!«
Komm schon, Kate, denk nach!
» JESSICA !«
Die Anspannung in ihrer Stimme war grauenhaft, als das Echo zu ihr zurückkam.
Sie warf sich gegen die Wand, als der Strahl ihrer Taschenlampe auf die Augen einer Ratte traf.
Sie trat mit den Füßen, schlug im Wasser um sich, bis das grässliche Biest verschwand. Dann atmete sie lang und tief ein, um sich zu zwingen weiterzumachen. Aber erst musste sie sich beruhigen.
Noch ein paar tiefe Atemzüge, und ihr Gehirn funktionierte wieder.
Wasser läuft aus einer Mine raus, nicht rein.
Sie sah den Tunnel entlang, in die Richtung, aus der sie gekommen war. Umzudrehen war eine Versuchung, aber keine ernsthafte Möglichkeit. Sie war hierhergekommen, um Jessica Finch zu finden, und sie würde jetzt nicht aufgeben. Sie war zu weit gekommen, um sie jetzt noch im Stich zu lassen. Wieder im Gleichgewicht, aber ohne die geringste Ahnung, wie weit die Mine noch reichte, setzte sie sich mit neuer Entschlossenheit in Bewegung, wobei der Rucksack schwerer war denn je.
»Jessica!«
Sie hielt an und horchte
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