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Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1933 - 1945.

Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1933 - 1945.

Titel: Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1933 - 1945. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Klemperer , Hadwig Klemperer , Walter Nowojski
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Annemarie Köhler, nichts mehr von Johannes Köhler.
3. Mai, Sonntag abend
    Gestern, am 2. Mai, habe ich den ersten Band des 18. Jahrhunderts absolut fertiggestellt, das ganze druckbereite Manuskript verpackt und der Ruhe übergeben, ohne sonderliche Hoffnung auf seine Auferstehung. Ich begann heute, mit vieler Unlust, den »Contrat social« zu lesen. –
16. Mai, Sonnabend nachmittag
    Motorisierter Hochzeitstag: Gestern abend, nach sehr langer Pause, im Kino: um Viertel neun hier fort, um halb neun am Freiberger Platz geparkt, eine Viertelstunde nach Schluß um halb zwölf zu Haus. Es war ein großer Genuß, und hier gab uns das Auto nun wirklich, was wir von ihm ersehnt hatten. Und heute am Morgen mit dem Wagen allein Besorgungen in der Stadt erledigt – in der City bewege ich mich jetzt ganz frei –, dann um halb zwölf mit Eva nach Wilsdruff zur Baumschule, fast zwei Stunden dort, acht Nadelhölzer (3 Zentner – 34 M) in den Wagen gepackt, und zurück, bisweilen schon mit 50 km. Das war hübsch und tröstlich, aber an Harlan habe ich für Durchsehen und kleine Reparaturen dieser Tage 75 M gezahlt, der Benzinverbrauch ist nach wie vor ein ungemeiner, mein Glaube an die dauernde Gesundheit des Wagens ein geringer, mein Zweifel am finanziellen Durchhalten ein sehr großer. Um so größer, als die Arbeit an Garage und – vor allem – Garagenzufahrt kein Ende nimmt: Immer wieder muß »Dreck« abgefahren werden, immer weiter geht die Abendarbeit des Ehepaares Lange, ein alter Onkel der Frau ist jetzt als Tageserdarbeiter in Daueraktion getreten – all das kostet, und auch die zweite und letzte Idunareserve ist nächstens aufgezehrt.
    Stimmung des Hochzeitstages? Ich fühle mich alt, ich habe kein Zutraun zu meinem Herzen, ich glaube nicht, daß ich noch viel Zeit vor mir habe, ich glaube nicht, daß ich das Ende des dritten Reiches erlebe, und ich lasse mich doch ohne sonderliche Verzweiflung fatalistisch treiben und kann die Hoffnung nicht aufgehen. Evas starres Festhalten am Ausbau des Hauses ist mir eine Stütze. Wie ich den Druck, die Schmach, die Unsicherheit, die Verlassenheit ohne Eva aushalten sollte, ist mir unbegreiflich. Es geht wirklich immer böser zu. Gestern ein Abschiedsgruß von Betty Klemperer aus Bremen (und Felix war einer der ersten Ärzte, die das EK I erhielten, er hat die russische Hindenburgoffensive mitgemacht, hat im Schützengraben verbunden); nun verlassen auch die Frauen unserer Familie Deutschland, undmanchmal kommt mir mein Bleiben ehrlos vor – aber was soll ich draußen anfangen, der ich nicht einmal Sprachlehrer sein könnte? Isakowitz, bei dem Eva wieder viel zu tun hat (weitere Finanzverschlechterung), siedelt in ein paar Wochen nach London über; Köhlers, decentes et indecentes, lassen nichts mehr von sich hören: Der Beamte darf nicht »mit Juden und übelbeleumundeten Elementen« verkehren. Die politische Außenlage ist völlig wirr, aber sie bietet fraglos der Regierung Hitler die größten Chancen: Das riesige deutsche Heer wird von jeder Partei gefürchtet und von jeder gebraucht: vielleicht wird das deutsche Geschäft mit England, vielleicht mit Italien gemacht werden, aber gemacht wird es sicherlich und zugunsten der gegenwärtigen Regierung. Und ich glaube durchaus nicht mehr, daß sie innerdeutsche Feinde hat. Die Mehrzahl des Volkes ist zufrieden, eine kleine Gruppe nimmt Hitler als das geringste Übel hin, niemand will ihn wirklich los sein, alle sehen in ihm den außenpolitischen Befreier, fürchten russische Zustände, wie ein Kind den schwarzen Mann fürchtet, halten es, soweit sie nicht ehrlich berauscht sind, für realpolitisch inopportun, sich um solcher Kleinigkeiten willen wie der Unterdrückung bürgerlicher Freiheit, der Judenverfolgung, der Fälschung aller wissenschaftlichen Wahrheit, der systematischen Zerstörung aller Sittlichkeit zu empören. Und alle haben Angst um ihr Brot, ihr Leben, alle sind so entsetzlich feige. (Darf ich es ihnen vorwerfen? Ich habe im letzten Amtsjahr auf Hitler geschworen, ich bin im Lande geblieben – ich bin nicht besser als meine arischen Mitmenschen.)
16. Juli, Donnerstag
    Wir haben, da Frau Lehmann für die Ferien verreist ist, keine andere Aushilfe genommen und waschen selber ab, wir sparen an jedem Groschen und an jedem Liter Benzin; es wäre tragikomisch – ein Mann mit eigenem Haus und Auto! –, wenn es nicht so trostlos niederdrückend und damit doch tragisch wäre und wenn es nicht von Monat zu Monat

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