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Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1933 - 1945.

Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1933 - 1945.

Titel: Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1933 - 1945. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Klemperer , Hadwig Klemperer , Walter Nowojski
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gut, war auch gut von einem letzten Halt an steigender Straße mit der Handbremse abgekommen. »Eine Glanzleistung war es nicht – ich gebe Ihnen den Führerschein!« – Ich war so entzwei, daß ich mich gar nicht freuen konnte. Ich fragte Luthe, warum er mir immer das Gas weggenommen. »Herr Professor – ich habe Blut geschwitzt – ich habe andauernd die Kupplung gehalten (Lernwagen mit zwei Kupplungen) – Sie fuhren durchweg zu schnell, Sie wären um keine Ecke gekommen. – Lassen Sie den Prüfenden ruhig schimpfen. Wegen langsamer Fahrt fällt man nicht durch; aber eine angestoßene Bordschwelle, und Sie sind erledigt.«
31. Januar, Freitag abend
    Die Autosache bisher nur ärgerlich. Die Gemeinde schikaniert mich wegen des geplanten Garagenbaus. Ein Schuppen mit flachem Dach »verschandelt« die Gegend. Aber ringsum haben die Garagen flache Dächer! Aber dies ist eine Gelegenheit, den »Juden« zu ärgern. Also ein Dach von 45 Grad Neigung. Hundehütte, sagt Eva. Die Verhandlung oben im Gemeindeamt erregte mich aufs äußerste. Die ganze Hilflosigkeit und Rechtlosigkeit meiner Lage drang auf mich ein. – Ein passender Wagen – ein neuer kostet zuviel – ist auch noch nicht aufgetaucht. Und immer wieder zweifle ich an Sinn und Recht der ganzen Sache. Wir sind arm, unsere Zukunft ist ganz ungewiß, ich glaube immer öfter, nur noch kurzen, sehr kurzen Lebensraum vor mir zu haben, und ich will 2000 M meiner Lebensversicherung an diesen Luxus wenden. Aber vielleicht ist es doch auch nicht ganz so unsinnig, wie es mir erscheint.
    Die politische Lage bedrückt mich immer mehr. Hoffnung, einen Umschwung zu erleben, ist kaum noch vorhanden. Alles duckt sich – die Gemeinheit triumphiert überall. Gestern die prunkvollen Feiern des 30. Januar. Drei Jahre! Es können hundert werden. –
    Ich kopiere langsam und feilend Voltaire. Manches gefällt mir daran, vieles nicht. Auch im Punkte meines Buches sinkt die Hoffnung tiefer und tiefer.
11. Februar, Dienstag
    Nach frühlingshaft mildem Wetter plötzlich, seit zwei Tagen, strenge Kälte, morgens 10 Grad Frost. –
    Die Lage immer dunkler. In Davos hat ein jüdischer Student den deutschen Parteiagenten der NSDAP erschossen. Im Augenblick, da hier das Oympiaspiel stattfindet, wird alles totgeschwiegen. Hinterher wird man sich an die Geiseln, an die deutschen Juden halten. So liegt es im Allgemeinen. Und in meinem persönlichen Fall: Ich bin der einzige Jude in der Gemeinde Dölzschen, mindestens der einzige »Prominente«. Der Bürgermeister Kalix hat mir schon Schwierigkeiten gemacht und mich Prätorius gegenüber beschimpft, als wir im Sommer anbauten. Ich »verschandele« die Gegend mit Holzhaus und Dachpappe. Jetzt im Fall der Garage ist es schlimmer. Hier am Kirschberg wurde vor etlichen Wochen eine Garage, üblicher Schuppenbau mit Flachdach, fertig. Mir wird das verweigert. In »diesem« Jahr darf nicht mehr »verschandelt« werden; man verlangt ein spitzes Schmuckdach, das uns Raum und Aussicht nehmen würde. Ich sagte auf der Gemeinde einem Schreiber: »Ich verschandle nicht. Dann unterbleibt eben Bau und Arbeitsbeschaffung.« Er: »Sie könnten allenfalls mit dem Bürgermeister reden, aber ich glaube nicht …« Ich: »Ich bitte um nichts, was mir selbstverständlich erscheint. Auf Wiedersehen.« – Anderntags gehen der Maurermeister und der Zimmermann zum Bürgermeister und bitten ihn, ihrer Arbeit wegen. Er läßt mir sagen: Ich wüßte wohl nicht, was gespielt werde, ich sei hier Gast, und er hätte Lust, mich auf eine Nacht in Schutzhaft zu nehmen.
    Auf dem Postplatz spricht mich ein Herr an: »Erkennen Sie mich nicht? Dr. Kleinstück, Rektor des Vitzthum-Gymnasiums. Ich ging schon neulich an Ihnen vorbei, Sie sahen mich und sahen weg. Ich fürchtete, Sie sähen weg, weil Sie meinten, ich würde Sie nicht grüßen. Deshalb rede ich Sie heute an. Wie geht es Ihnen?« – Sein Verhalten rührte mich, ich gab Auskunft und fügte hinzu: »Übrigens ist mir erzählt worden, Sie, Herr Rektor, seien Obernazi.« Er: »Ach Gott, man macht es den Leuten nie recht, von Tag zu Tag weiß ich nicht, ob ich morgen noch im Amt bin. Meine Schwester …« Was es mit ihr auf sich habe? – »Sie war Privatsekretär des Generaldirektors Sommer, eines jüdischen Großindustriellen. Sie hat sechs Wochen in Untersuchungshaft gesessen.« – Das ist der obernazistische Leiter des Vitzthum-Gymnasiums.
6. März
    Im Oktober schrieb Georg, er wandere aus, er werde mich vorher noch

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